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im Gebiete des U.W.G. lediglich als Ausländer ansehen wollte, würde
demnach die Auffassung der preussischen Üentralinstanz zu dem un-
annehmbaren Ergebniss führen, dass nur diejenigen Bundesstaaten,
welche im Wege der Landesgesetzgebung von der im $ 60 U.W.G.
nachgelassenen Befugniss, die definitive Fürsorge für Ausländer auf
ihre Armenverbände zu übertragen, Gebrauch gemacht haben, ver-
pflichtet wären, für die Ausweisung eines hülfsbedürftigen Bayern die
Beschränkungen des Fr.G. gelten zu lassen, während denjenigen
Bundesstaaten, in denen die Fürsorge für Ausländer beim Staate
selbst verblieben ist, das Recht zustände, die Ausweisung auf Grund
des $ 1 des Gothaer Vertrages in ursprünglicher, durch das Fr.G.
nicht modificirter Fassung zu betreiben. Weiter ist es von einem
Standpunkte aus, der die völlige Gültigkeit des Fr.G. in Bayern als
zweifellos ansieht, nur inconsequent, den Bayern in der Eigenschaft
eines Ausländers im Geltungsgebiete des U.W.G. einen Unterstützungs-
wohnsitz erwerben zu lassen. Vielmehr muss dann der $5 Fr.G. in
Bayern territorial und im Verhältniss Bayerns zum Gebiete des
U.W.G. ungeachtet des Mangels gleichmässig gegenseitiger Anwen-
dung, interterritorial gelten. Auf den Bayern müssen sich dann die
Consequenzen des im Fr.G. gewährleisteten, auf den Erwerb des
Unterstützungswohnsitzes durch längeren ununterbrochenen Aufenthalt
ausgedehnten Aufenthaltsrechts ebenso erstrecken, wie auf jeden
andern, im Geltungsbereiche des U.W.G. sich aufhaltenden Deutschen.
Entscheidend ist also einzig und allein die Frage, ob die SS 5 und ?
Fr.G. im Verhältniss Bayerns zum Geltungsbereiche des U.W.G. inter-
territoriale Geltung haben, trotzdem Bayern sich in Ziff. III des
bayrischen Schlussprotokolls die Fortdauer der Verträge von Gotha
und Eisenach vorbehalten hat und obwohl die bayrischen Nieder-
lassungs- und Heimathsverhältnisse in Art. 4 R.V. der Competenz
des Reichs entzogen sind. Die Logik der Thatsachen führt zur Be-
jahung dieser Frage, obwohl man bei Einführung des Freizügigkeits-
gesetzes in Bayern an die bayrischen Vorbehalte nicht gedacht hat).
Der bezügliche Passus der Motive des Reichsgesetzes vom 22. April 1871,
9) MÜNSTERBERG hatte im 27. Hefte von ScHmoLLer’s Forschungen, „Die
deutsche Armengesetzgebung und das Material zu ihrer Reform“ — Leip-
zig 1887 — $ 64, Abs. 1 und $ 45 a. E. behauptet, dass das Fr.G. es bei
dem Gothaer und Eisenacher Vertrage habe bewenden lassen. Nach der
jüngsten Auffassung desselben Schriftstellers in ScHmoLLer’s Jahrbüchern