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Rechte zu üben, er empfängt und entsendet Gesandte; das ist eine
augenscheinliche Anomalie, da völkerrechtlich die Ausübung souveräner
Rechte ein Gebiet und Unterthanen voraussetzt, über welche der Papst
nicht mehr verfügt. Die Lösung dieses Widerspruchs glaubt der Ver-
fasser darin zu finden, dass man irrthümlich die Souveränetät mit der
Territorialität identificirt; so war es im Mittelalter, heute aber sind
es die Beziehungen zu den Personen, auf welchen sie beruht, die
Menschen sind es, welche die Nation bilden, sie, nicht das Gebiet sind
die Quelle der Souveränetät, nicht das materielle sondern das moralische
Element bestimmt, ob eine Gemeinschaft von Menschen als politisch-
autonome Einheit sich betrachten kann, ihre Zahl und die Bedeutung
der Interessen, welche sie vertreten, begründet ihre Anerkennung.
Eine solche Autorität übt der Papst über alle Katholiken, indem die
eigenthümliche Organisation der katholischen Kirche, welche sich in
einer Spitze concentrirt, dieselbe von allen sonstigen Religionsgemein-
schaften unterscheidet. Das italienische Garantiegesetz, obwohl ein-
seitig vom Staat erlassen, hat, indem es souveräne Unabhängigkeit
des Papstes anerkennt, anderen Staaten gegenüber deshalb nicht bloss
die Bedeutung eines inneren Gesetzes eines befreundeten Staates, denn
es ist nur die Erfüllung eines den anderen Staaten gegebenen Ver-
sprechens, die Unabhängigkeit des Papstes zu wahren. Der erste Titel
des Gesetzes bezieht sich auf die Interessen dritter Staaten, während
der zweite italienisches Kirchenrecht behandelt, er ist die magna charta
libertatum, welche die italienische Nation allen Katholiken der Welt
gibt. Jeder Staat also, dem das Circular vom 7. September 1870,
durch welches Italien versprach, die Unabhängigkeit des Papstes zu
gewährleisten, mitgetheilt wurde, hat das Recht zu verlangen (invo-
care), dass das Gesetz ausgeführt werde (obwohl er sich nicht in die
Beziehungen zwischen Italien und dem heil. Stuhl einmischen kann),
sobald durch dessen Nichtausführung die Interessen seiner katholisshen
Unterthanen bedroht werden.
Man kann indess diesen Charakter des Garantiegesetzes voll-
ständig zugeben, ohne mit dem Verfasser zu dem Ergebniss zu kommen,
dass der Papst trotz des Verlustes des Kirchenstaates Souverän ge-
blieben ist, und das Gesetz selbst den heil. Stuhl gleichsam als einen
fremden Staat innerhalb der Grenzen des Reiches betrachtet (8 36).
Dagegen spricht schon, dass das Gesetz ihm nur den Niessbrauch an
den Palästen des Vaticans und Laterans gibt und ausdrücklich jede
Veräusserung aus deren Sammlungen verbietet. Ebenso wenig lässt