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für den Nichtschweizer sehr lehrreiche Betrachtung über die Schweizer
Gesetzgebung des letzten Jahres und über die gegenwärtigen poli-
tischen Verhältnisse der Schweiz. Der Inhalt der beiden Aufsätze von
Rıeorpy und AFFOLTER endlich erhellt aus den Ueberschriften.
Die wissenschaftlichen Grundsätze des Jahrbuches sind enthalten
in dem ersten Aufsatze „Moderne Grundlinien für die Politik*, auf
den daher auch namentlich in den beiden anderen vom Herausgeber
verfassten Abhandlungen verschiedentlich ausdrücklich verwiesen
wird. Der Herausgeber geht hierbei aus von der wohl ausser Zweifel
stehenden Thatsache, dass die gegenwärtige Generation eine sehr starke
Abneigung gegen alle Philosophie hat. Er wirft ihr daher vor, da
diese Thatsache sich auch auf dem staatsrechtlich-politischen Gebiete
immer mehr geltend macht, sie kenne nur eine Politik der Mittel-
ursachen, die nicht weiter gehe als bis zur Befriedigung der realen,
d. h. der augenblicklich am stärksten sich geltend machenden Be-
dürfnisse, und diese Politik ohne leitende Grundsätze nenne man Real-
politik. Mit dieser politischen Grundsatzlosigkeit erziehe man aber
nur „leitende Staatsmänner“ und ihr Complement, „beschränkten
Unterthanenverstand“. Die einzige Ausnahme von dieser auch in der
Literatur sich immer mehr geltend machenden Richtung sieht der
Herausgeber in Juerıne’s Werke „Der Zweck im Rechte“. Aus diesem
werden daher in dem weiteren Inhalte der Abhandlung die modernen
Grundlinien der Politik, die philosophische Grundlage für die Staats-
und Rechtsphilosophie geschöpft.
Es kann nun nicht unsere Aufgabe sein, an dieser Stelle gelegent-
lich der Besprechung des Jahrbuchs auch noch den Inhalt eines Werkes
von der Bedeutung wie Jnerıng’s „Zweck im Rechte“ nebenbei zu er-
örtern. Wohl aber gibt der Ausgangspunkt des Herausgebers, ver-
möge dessen er moderne Grundlinien für die Politik suchen zu müssen
glaubt, Anlass zu einer eingehenderen Auseinandersetzung. Die Ab-
neigung der gegenwärtigen Generation gegen alle Philosophie, also
auch gegen die Rechtsphilosophie, ist zuzugeben. Aber man muss
bestreiten, dass es früher trotz aller Philosophie praktisch eine andere
Politik gegeben hat als die der Mittelursachen, wie sie der Heraus-
geber nennt. Nie hat ein praktischer Staatsmann nach philosophischen
Grundzätzen regiert, nie hat er seine Aufgabe in etwas anderem sehen
können, als in der Befriedigung der augenblicklichen Bedürfnisse seines
Staates. Es fragt sich nur, wie daneben früher noch eine Rechts-
philosophie bestehen konnte, die über die sogenannten Mittelursachen