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Ihren derzeitigen Abschluss fand diese Entwickelung durch
die im Laufe unseres Jahrhunderts fast allseitig erfolgte An-
nahme des Systems der allgemeinen Wehrpflicht, wie dasselbe
zuerst in Preussen dem Staatsleben als dauernde Institution ein-
gefügt worden war.
Durch dieses System scheint dasjenige Problem, dessen
Lösung das Ziel einer jeden Wehrverfassung sein muss, für die
Verhältnisse der Gegenwart die entsprechendste Lösung gefunden
zu haben:
Concentrirung und Entwickelung aller Kräfte des Staates
für den Fall des Krieges, unter möglichst geringer Belastung
des Volkes im Frieden.
Die Grundzüge dieses Systems sind im Wesentlichen folgende.
1. Der Kriegsdienst zum Schutze des Vaterlandes ist jedes
physisch und moralisch befähigten Mannes Pflicht.
2. Um die zur Erfüllung dieser Pflicht erforderliche mili-
tärısche Ausbildung sich zu erwerben, ist ein Jeder gehalten,
dem aktiven Heere auch im Frieden eine bestimmte Zeit hin-
durch anzugehören.
3. Dieses aktive Friedensheer hat einerseits den Zweck
einer militärischen Bildungsschule für die Nation, andererseits
ist es bestimmt, den festen Kern zu bilden, an welchen im
Kriegsfalle sich die Gesammtheit der Wehrpflichtigen anschliesst.
4. Darum werden im Frieden nur die Rahmen (Cadres)
der für den Krieg bestimmten Formationen gebildet, welche im
Mobilmachungsfalle durch die eingezogenen Wehrpflichtigen aus-
gefüllt werden.
Hierdurch ist nun allerdings die Möglichkeit gegeben, bei
verhältnissmässig geringer Friedensbelastung, im Kriege ein
Heer aufzustellen, welches alle waffenfähigen Männer des Volkes
umfasst.
Ob nun jedoch. jene oben gekennzeichneten Ziele: starke
Kriegsmacht und geringe Belastung im Frieden, thatsächlich