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stituirenden Reichstages auch die bezüglichen Erfahrungen des
constitutionellen Lebens, welche man gerade während der letzten
Jahre in Preussen reichlich zu machen in der Lage war: wir
meinen die Erfahrungen des sogenannten Militärconflikts. Die
Erinnerungen an diesen Conflikt, welcher Jahre hindurch die
Grundfesten des preussischen Staates schien erschüttern zu
wollen, waren bei der Abfassung des Entwurfs der Verfassung
des norddeutschen Bundes und der Aufnahme, welche derselbe
durch den constituirenden Reichstag fand, von entscheidender
Bedeutung.
Zum Verständniss der Absichten, durch welche die gesetz-
gebenden Factoren bei der verfassungsmässigen Normirung des
Bundeskriegswesens geleitet wurden, ist es daher unerlässlich,
sich in Kurzem die Ursache und den Verlauf des genannten
Conflikts ?) zu vergegenwärtigen.
Bei der im Jahre 1859 erforderlich gewordenen Mobil-
machung hatten sich in der bisherigen Heeresorganisation ver-
schiedene Mängel gezeigt, namentlich schien der preussischen
Regierung die Anzahl der Cadres und die sich daraus ergebende
Friedenspräsenzstärke nicht mehr den neuen Staatsbedürfnissen
entsprechend zu sein. Die genannten Institutionen beruhten auf
dem grundlegenden Gesetze vom 3. September 1814?) und der
daraufhin erlassenen Cabinetsordre vom 22. December 1819)
und waren somit etwa 40 Jahre unverändert geblieben.
?) Man vgl. Geist, Die Lage der Preussischen Heeresorganisation
am 29. September 1862; BornHaX, Geschichte des Preussischen Verwal-
tungsrechts, Bd. IH, S. 267 ff,; Gneist, Gesetz und Budget, $. 222 ff.;
ScHuLzE, Deutsches Staatsrecht, Bd. II, S. 251 ff.; v. Rönne, Das Staats-
recht der Preussischen Monarchie, Bd. II, S. 902 ff.; Preuss, Friedensprä-
senz und Reichsverfassung, S. 8: ff.; sowie die stenographischen Berichte
über die Verhandlungen des Preussischen Abgeordnetenhauses1862 — 1866.
®) $ 3 lautet: Die Stärke des stehenden Heeres und der Landwehr
wird nach den jedesmaligen Staatsverhältnissen bestimmt.
*) Gesetzsammlung 1820, S. 5.