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Umstand, dass bei Berathung des Wehrgesetzes Redner zur
Begründung der Regierungsvorlage auf Art. 63* der Reichsver-
fassung sich berufen haben 8°). Dieselben gingen eben von
einer falschen Interpretation dieser Verfassungsbestimmung
aus 87),
Aus der vorstehenden Darstellung des rechtlichen Inhalts
von Art. 63* ergibt sich, dass derselbe sehr wohl neben Art. 60
stehen kann, eben weil beide durchaus verschiedene Gebiete
zu regeln bestimmt sind und sich hierbei gegenseitig ergänzen.
Art. 60 überweist der Gesetzgebung das, was derselben
zugewiesen werden muss und zugewiesen werden kann, Art. 63%
gewährt der Executive die vom Standpunkte einer gesunden
Gesetzgebungspolitik derselben zu belassende Freiheit und Un-
gehemmtheit der Bewegung. Unter keinen Umständen kann
jedoch dieses Recht der Executive an die Stelle des verfas-
sungsmässigen Rechtes der Gesetzgebung treten.
Die Verfassung fordert daher absolut das Zustandekom-
men des Gesetzes, betreffend die Friedenspräsenzstärke, und kennt
einen verfassungsmässigen Ersatz für dieses Gesetz keineswegs.
B. Wie kann das entstehende Vacuum ausgefüllt
werden?
Bei der Nichteinigung von Bundesrath und Reichstag, bez.
der Friedenspräsenz, entsteht somit ein Vacuum. Es ist selbst-
86) v. MoLtkE und v. Roon. (Sten. Ber. des ordentlichen Reichstags
1867, S. 477 und 481.)
87) Die durch $ 6° des Wehrgesetzes gestattete Ueberschreitung der
Friedenspräsenzstärke findet übrigens ihr Gegengewicht in dem Ausgabe-
bewilligungsrecht des Bundesraths und Reichstags, welches bei jeder Ueber-
schreitung der gesetzlichen Friedenspräsenzstärke durch die Schranken
des Art. 62* nicht mehr gehemmt wird. (Dies wurde auch in den Ver-
handlungen des ordentlichen Reichstags von 1867 anerkannt. Sten. Ber.
S. 478 und 488.)