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würden, so müssen wir zunächst ausschliessen die allgemeinen
Bestimmungen der Art. 57 und 59 der Reichsverfassung hin-
sichtlich der Wehrpflicht und der Dienstzeit. Dass diese als
Maximalgrenzen eine solche Grundlage nicht bilden können, geht
hervor aus dem, was wir hinsichtlich ihrer oben (gegen Preuss)
angeführt haben !1}).
Nur die Anzahl der Cadres, wie sie im Reichsmilitärgesetz
und den entsprechenden Novellen von 1880 und 1887 durch
dauernde gesetzliche Bestimmungen normirt worden ist, würde der
Verausgabung dann zu Grunde gelegt werden müssen. Unzwei-
felhaft wird hierdurch eine gewisse Minimalfriedenspräsenz-
stärke !!?) dauernd gesetzlich garantirt, doch lassen selbstver-
ständlich die Begriffe „Bataillon“, „Escadron®, „Batterie“ etc.
hinsichtlich der Zahl der darin begriffenen Mannschaften grosse
Schwankungen zu, sobald nicht auch ihr Inhalt gesetzlich fest-
gestellt ist. Letzteres ist nicht geschehen, so dass der Anhalt,
den diese Begriffe der Reichsregierung für eine Verausgabung
bieten würden, nur ein sehr unbestimmter sein könnte.
Dieses sind somit die einzigen formell rechtlichen Anhalts-
punkte, auf welche die Reichsregierung behufs Erhaltung eines
bestimmten Präsenzstandes sich berufen könnte, wenn die Diffe-
111) Der Reichskanzler Fürst Bismarck vertheidigte theoretisch wenig-
stens die rechtliche Möglichkeit einer solchen Annahme, wenn er am
11. Februar 1887 im Reichstage sagte: „Es steigt (bei Wegfall der Be-
schränkung des Art. 60) die obere Grenze der berechtigten Präsenzziffer
der Armee bis zu dem Satze des Art. 59 der Verfassung: Jeder wehr-
pflichtige Deutsche hat 3 Jahre bei den Fahnen zu dienen. Das ist dann
unsere Präsenzziffer, die wir erreichen dürfen.“ Freilich gesteht der Reichs-
kanzler dann zu, dass dies eine financielle Unmöglichkeit sei und baut
darauf seine von uns oben bereits gewürdigte Interpretation des Art. 63%
der Verfassung.
112) Man vergleiche die Aeusserungen, welche gelegentlich der Be-
rathung des Reichsmilitärgesetzes in der Reichstegscommission eine solche
Minimalfriedenspräsenzstärke anerkannten. (Bericht des Abg. Miguer. Sten.
Ber. II. Legislaturperiode, I. Session 1874, S. 748.)