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bahnfrachtverkehrs für den grössten Theil des europäischen Continents
einheitlich zu regeln bestimmt ist, erscheint es hiernach wohl zeit-
gemäss, die allgemeine Entstehungsgeschichte dieses wichtigen gesetz-
geberischen Werkes und die Gestaltung seiner Hauptgrundsätze, wenn
auch nur in kurzen und gedrängten Zügen, zur Darstellung zu bringen.
Hieran soll sich späterhin eine specielle Erörterung der einzelnen Prin-
cipien und Normen des Uebereinkommens anschliessen.
I.
Das internationale Uebereinkommen über den Eisenbahnfracht-
verkehr beruht, wie seine Entstehungsgeschichte ergiebt, auf einem
Compromiss der contrahirenden Staaten. Der vornehmlich durch die
Eisenbahnen vermittelte Verkehr der europäischen Continentalstaaten
hat in verhältnissmässig kurzer Zeit so ausserordentliche Dimensionen
angenommen, dass in demselben Maasse, wie im Post- und Telegra-
phenverkehre, die Einführung internationaler Rechtsnormen zu einem
dringenden und unabweisbaren Bedürfnisse wurde. Denn je mehr der
internationale Verkehr zunahm, je fühlbarer wurde die Rechtsunsicher-
heit, unter welcher die sämmtlichen Transportinteressenten — die Ab-
sender, Empfänger und Eisenbahnverwaltungen — durch die Ver-
schiedenheit der Eisenbahnfrachtrechte der einzelnen Staaten litten.
Am meisten wurde durch diesen Uebelstand in Folge ihrer natürlichen
Lage inmitten von vier grossen Staaten die Schweiz betroffen, und es
ist daher wohl erklärlich, dass von ihr der Gedanke der Einführung
eines internationalen Eisenbahnfrachtrechts ausging und mit aner-
kennenswerther Consequenz verfolgt und verwirklicht wurde.
Der Schweizer Bundesrath hatte im Anfange der siebziger Jahre
den Professor Fick in Zürich beauftragt, einen Gesetzentwurf über
das Schweizer Eisenbahn-Transportwesen auszuarbeiten. Als die schwei-
zerische Bundesversammlung im Sommer 1874 in die Berathung dieses
Gesetzentwurfes eingetreten war, wurde ihr von den Schweizer Ad-
vokaten de Seıeneux in Genf und Dr. Curıst in Zürich eine Petition
vorgelegt, in welcher unter Hinweis darauf, wie sehr die Entwicklung
des Eisenbahnverkehrs durch die Verschiedenheit der Eisenbahnfracht-
rechte beeinträchtigt werde, gebeten wurde, vor Berathung des Vor-
schlags des Bundesraths auf das Zusammentreten einer internationalen
Conferenz hinzuwirken, um — wo möglich — wenigstens gewisse
Theile der Gesetzgebung in Sachen des internationalen Eisenbahntrans-