Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dritter Band. (3)

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bedürftigen zu thun, welche nicht transportfähig sind, während 
im Uebrigen die Gothaer Uebereinkunft in Anwendung ist“ ?®). 
Die Mangelhaftigkeit des lediglich auf das Kriterium der Trans- 
portfähigkeit gestellten Verfahrens der Heimschaffung hülfsbedürftiger 
  
%0) STADELMANN, Die bayrische Gemeindeordnung (Abdruck aus der 
Gemeindeverfassung) 1883, $S. 331, Anm. 1 zum Gothaer Vertrage. Zwei 
praktische Beispiele aus neuester Zeit mögen hier ihre Stelle finden. 
Auf Veranlassung des Magistrats zu Nürnberg als Distrietspolizeibehörde 
übernahm das Königliche Polizei-Präsidium zu Berlin als Landespolizei- 
behörde im Herbst 1886 einen Gürtlergesellen, welcher sich mit guter 
Führung längere Zeit in Bayern aufgehalten hatte und zur Zeit der Ueber- 
führung 13 Wochen lang in einem Krankenhause zu Nürnberg auf Kosten 
seiner Krankenkasse an Syphilis behandelt war. Auf den Transportstationen 
musste er sowohl in Hof in Bayern wie auf preussischem Gebiete in 
Eilenburg während des kurzen Aufenthalts im Krankenhause untergebracht 
werden. Am 9. October 1886 wurde der Transportat bei seiner Ankunft in 
Berlin sofort als augenkrank in das Königliche Charit&-Krankenhaus abge- 
liefert. Unterm 16. März 1887 ertheilte der behandelnde Charite-Arzt zur 
Auskunft, dass eine besonders schlimm auftretende Hornhautentzündung 
von der Form vorliege, wie man sie bei hereditärer Syphilis zu beobachten 
pflege und dass der Zustand des Kranken bei seiner Aufnahme in die 
Charite derartig war, dass eine Reise die Augenkrankheit zu verschlim- 
mern geeignet war. Unterm 3. April 1887 begutachtete derselbe Arzt, 
dass eine Transportfähigkeit erst in etwa 4 Wochen eintreten werde (Acten 
der Berliner Armendirection, He 8052). Der zweite Fall zeigt, dass die 
Dehnbarkeit des Begriffes der Transportfähigkeit auch im Auslande, mit 
welchem der Eisenacher Uebereinkunft gleichkommende Verabredungen 
getroffen sind, zu dem Bestreben verleitet, sich der vertragsmässig über- 
nommenen Verpflegungspflicht sogar dann zu entledigen, wenn dieselbe 
nach Lage der Umstände als definitiv anzusehen ist. Im Sommer 1886 
verlangten schweizerische Behörden die Uebernahme eines an einem un- 
heilbaren Unterleibsleiden erkrankten 66jährigen Mannes, welcher nur noch 
‚wenige Monate zu leben hatte. Der Arzt des Ortsbürgerhospitals zu Luzern 
hatte eine Transportfähigkeit in der Form bescheinigt, dass dieselbe in 
einem von der schweizerischen Grenze durchgehenden, für den Krankheits- 
zustand besonders eingerichteten Waggon mit drei Begleitern zu erfolgen 
habe. Die betreffende Eisenbahnverwaltung hatte die reinen Fahrkosten 
auf 1010 M. veranschlagt. Während die Verhandlungen noch schwebten, 
verschlimmerte sich der Zustand des Kranken derartig, dass auch jener 
ideelle Minimalgrad von Transportfähigkeit aufhörte (Acten der Berliner 
Armendirection, La 2420).
	        
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