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Richtungen hin im Laufe der Zeit verändert worden sind. Seit dem
Beginn dieses Jahrhunderts wird die Tendenz massgebend, den Schwer-
punkt der juristischen Ausbildung in die Beschäftigung bei den Ge-
richten zu verlegen. Die Zeit des Universitätsstudiums wird auf ein
Triennium gesetzlich fixirt, die Zeit des Vorbereitungsdienstes bei den
Gerichten mehr und mehr erweitert; die Anforderungen im ersten
Examen sinken immer tiefer herab, während das letzte („grosse“)
Examen in demselben Verhältniss den Charakter einer theoretischen
Prüfung erlangt. Die Ausnützung der Universitatsjahre zu rechts-
wissenschaftlichen Studien wird dadurch entbehrlich; die Zulassung
zum Gerichtsdienst setzt keine wirklichen Kenntnisse mehr voraus;
sie ist bedingt durch das Bestehen einer Prüfung, die immer mehr
und mehr den Charakter einer Formalität annimmt, und für welche
ein Cursus von einigen Wochen oder Monaten bei einem „Einpauker“
genügend ist. Die Erwerbung derjenigen theoretischen Bildung, welche
zur Bekleidung eines höheren Richteramtes erforderlich ist, fällt nicht
mehr in die Zeit vor Beginn des praktischen Vorbereitungsdienstes,
sondern an das Ende desselben, und sie geschieht nicht mehr unter
der Leitung der Professoren, sondern in autodidactischer Weise aus
Lehrbüchern und unter der Hülfe von „Repetitoren“ in sogenannten
Assessorenpressen. Die Folge davon ist, dass an die Stelle wissen-
schaftlicher Durchbildung eine handwerksmässige Routine tritt. Im
Zusammenhange damit steht die Herunterdrückung der Stellung der
Referendare. Eine Theilnahme an der eigentlichen Rechtsprechung
und Decretur kann ihnen in Folge ihrer mangelhaften juristischen
Bildung nicht anvertraut werden; sie haben Protokolle zu schreiben,
die ihnen in die Feder dictirt werden, Formulare auszufüllen, Termine
von untergeordneter Bedeutung abzuhalten. Der Staat verwendet ihre
unentgeltlichen Dienste, um eine Menge von Schreibern und Aktuaren
zu ersparen. Es liegt hierin zugleich ein kräftig wirkendes Motiv,
um die Zeit des Vorbereitungsdienstes auszudehnen, die gleichzeitige
Absolvirung mehrerer Stationen zu verbieten, eine Abkürzung auch
für den Tüchtigen und Fleissigen zu versagen; die Zulassung zum
Assessorexamen muss eben durch jahrelange Frohndienste als Gerichts-
schreiber erkauft werden. Dazu kommt, dass die rechtliche Stellung
der Referendare eine prekäre und völlig unselbständige wird; sie
können ohne Disciplinarverfahren durch Verfügung des Ministers,
später sogar des Appellationsgerichtspräsidenten, aus dem Dienst
entlassen werden, ohne dass ihnen irgend ein Schutz, irgend ein Rechts-