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allerdings als eine subsidiäre. Aber die Frage ist eben, ob dies Ver-
hältniss den Anforderungen einer vollkommenen Armenpflege entspricht,
ob nicht vielmehr öffentliche und freiwillige Armenpflege ihre geson-
derten Gebiete haben und haben müssen, so dass letzterer — um
es kurz auszudrücken — die heilbaren Fälle vorzubehalten, ersterer
aber solche Fälle zuzuweisen sind, in denen der Hülfsbedürftige vor
dem Zustande der Verarmung nicht zu bewahren oder aus demselben
nicht mehr herauszuheben ist, sei es, weil seine Erwerbsfähigkeit auf-
gehört hat, sei es, weil er sittlich so verkommen ist, dass er sich auch
mit fremder Hülfe nicht mehr emporzuarbeiten vermag. Die Schwierig-
keit der Unterscheidung im Einzelfalle liegt auf der Hand. Sie kann
nur durch eine zweckmässige Organisation sowohl der öffentlichen als
der freiwilligen Armenpflege und ein organisch geregeltes Zusammen-
wirken Beider überwunden werden. In dieser Beziehung sind die
Mittheilungen und Ausführungen Ascnurorr’s über die Grenzbestim-
mung zwischen öffentlicher und privater Armenpflege und über die
Grundsätze und die Wirksamkeit der Charity Organisation Society
(a. a. O. S. 157, 395 ff., 403 ff.) ebenso zutreffend, als für unsere
heimischen Verhältnisse beachtenswerth.
Den Schluss des ersten Buches bildet bei MünstERBERG eine Ueber-
sicht der geschichtlichen Entwicklung der Armengesetzgebung in
Deutschland, bei welcher die Entstehungsgeschichte des Reichsgesetzes
über den Unterstützungswohnsitz besondere Berücksichtigung gefunden
hat (S. 90—179). Dabei scheint uns das Verhältniss des vorläufig
unterstützenden zu dem endgültig verpflichteten Armenverbande nicht
ganz zutreffend charakterisirt zu sein. Der civilrechtliche Gesichts-
punkt der „negotiorum gestio“ trifft nicht zu, wenn der Armenverband
des Aufenthaltsorts eine Person unterstützt, welche in seinem Bezirk
einen Unterstützungswohnsitz nicht hat. (Vgl. das Urtheil des Bundes-
amts vom 13. December 1884, Bd. I, S. 208 dieses Archivs.)
Das zweite Buch enthält die Darstellung und die Beurtheilung
der geltenden Gesetzgebung (S. 183—291). Es werden dabei ins-
besondere die finanziellen Wirkungen (Höhe der Armenlast; Ver-
theilung derselben; Abschiebung; Kostspieligkeit der Armenpflege für
fremde Rechnung) und die socialen Wirkungen (namentlich das Land-
armen- und Korrigendenwesen, Bettelei und Vagabondage) unterschie-
den, und in einem besonderen Capitel auch die Vorwürfe der Viel-
schreiberei und der Rechtsunsicherheit, welche als Folge des Unter-
stützungswohnsitzgesetzes bezeichnet werden, erörtert.