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recht ausübe. Hiernach soll die Auslieferung nicht etwa, wie die
herrschende Meinung annimmt, bloss ein Akt der Rechtshülfe,
sondern gleichzeitig auch ein Akt der Rechtspflege des
ausliefernden Staates selbst sein (S. 42). Im Verlauf des Werkes
(S. 832) bezweifelt Lammascn sogar, ob man die Auslieferung Be-
schuldigter überhaupt als Rechtshülfe bezeichnen dürfe, weil dar-
unter nur jene Akte verstanden werden könnten, auf deren Vornahme
der dieselbe gewährende Staat keinen selbständigen Anspruch gegen-
über dem betreffenden Individuum besitze, die er vielmehr nur auf
Ersuchen und im Auftrag des ersuchenden Staates vornehme; letzteres
sei aber hier nicht der Fall, weil der Zufluchtsstaat die mit der Aus-
lieferung verbundenen Beschränkungen der persönlichen Freiheit aus
seiner eigenen Berechtigung und Verpflichtung, zu strafen, ableite.
Jene Auffassung wird ferner durch die Erwägung begründet, dass
der inländische Staat die Auslieferung doch nur über Jemanden ver-
hängen dürfe, welcher auch nach inländischem Recht als ein Ver-
brecher anzusehen und daher den fraglichen Beschränkungen aus-
gesetzt sei; andernfalls wäre die Auslieferung selbst ein Verbrechen. —
Man wird die innere Berechtigung des Gedankens der Solidarität der
Staaten bei Bekämpfung des Verbrechens anerkennen und damit, ab-
gesehen von den strafbaren Handlungen der Inländer im Auslande,
eine ausserordentliche Strafgewalt des Inlands bei Verbrechen im
Auslande für bestimmte Fälle — z. B. den der Begehung der That
in einem barbarischen Lande — als geboten erachten können, ohne
doch die fragliche Consequenz bezüglich des Wesens der Auslieferung
zugeben zu müssen. Denn wenn die Ausübung dieser ausserordent-
lichen Strafgewalt und die Auslieferung beide auf jenem solidarischen
Interesse der Staaten beruhen und die Auslieferung der Verwirk-
lichung dieses Gesammtinteresses, der Rechtspflege im internationalen
Sinn dient, so enthält die Auslieferung doch unverkennbar einen Ver-
zicht auf die Geltendmachung der eigenen Rechtspflege und Straf-
gewalt des ausliefernden Staats; der letztere „überträgt“ nicht sein
Strafrecht auf den ersuchenden Staat, sondern er unterstützt lediglich
die strafende Thätigkeit des letzteren, er leistet Rechtshülfe, und
es ist ohne Belang, dass er etwa berechtigt sein würde, statt so zu
handeln, den Verfolgten selbst zu strafen (vgl. Bınnins, Handbuch des
Strafrechts S. 397). Da der ausliefernde Staat aber nur der Ge-
rechtigkeit dienen will, so kann er sich nicht damit begnügen, dass
die Handlung vom Standpunkte des ausländischen Staats als Ver-