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brechen oder als vertragsmässiges Auslieferungsdelikt erscheint, er
bedarf eines weiteren Massstabes und kann diesen nur in seinen
eigenen, im inländischen Rechte verwirklichten Rechtsbegriffen finden.
Es kann desshalb die von LammascHh im Verlauf des Werks mehrfach
(z. B. S. 164, 438) ausgesprochene Ansicht nicht getheilt werden, als
führe die Auffassung der Auslieferung als Rechtshülfe dazu, bei
Prüfung des Auslieferungsbegehrens, z. B. hinsichtlich der Frage der
Verjährung, ausschliesslich das ausländische Recht zu berücksichtigen.
Wenn anderseits der Verfasser eine Prüfung des Belastungsbeweises, wie
solche in England stattfindet, dem Grundgedanken der Auslieferung —
das Protokollverfahren durch das unmittelbare Verfahren am Orte
der That zu ersetzen — widersprechend erachtet, so dürfte der grund-
sätzliche Verzicht auf diese Prüfung die praktische Anerkennung des
Wesens der Auslieferung als blosser Rechtshülfe in sich schliessen.
Das zweite Buch bespricht die Quellen des heutigen Aus-
lieferungsrechts, die Auslieferungsverträge und Ausliefe-
rungsgesetze. Dasselbe beginnt mit einer Uebersicht des bestehenden
Vertragsrechts und einer Statistik der Auslieferungen — welche be-
züglich des deutschen Reichs aus Mangel an amtlichen Quellen nicht
vollständig sein konnte — und geht sodann zur Darlegung des ver-
schiedenen Rechtszustands bezüglich der Frage über, ob der Aus-
lieferungsvertrag der Genehmigung der Volksvertretung bedürfe. So-
fern dies der Fall, soll der Richter, wenn er über die Gewährung der
Auslieferung zu entscheiden hat, den Mangel der Genehmigung zwar
berücksichtigen, dabei aber nicht ausser Acht lassen, dass die Aus-
lieferung, abgesehen vom Vertrag, nach Herkommen oder Gesetz be-
gründet sein kann. Bei Erörterung des Einflusses, welchen der Unter-
gang des vertragschliessenden Staats oder sonstiger Staatsumwälzungen
auf den Bestand der Verträge üben können, kommt die Frage zur
Besprechung, ob der die Auslieferung auf breitester Grundlage an-
ordnende Beschluss der deutschen Bundesversammlung vom
26. Januar 1854, wie die Praxis annimmt, zwischen dem deutschen
Reich und Oesterreich fortgelte. Lammasch verneint die Frage mit
Rücksicht auf Art. 13 des Prager Friedens, wonach nur diejenigen
Verträge der früheren Bundesstaaten wieder aufleben sollen, welche
nicht ihrer Natur nach durch die Auflösung des Bundes ihre Wirkung
verlieren mussten, indem er auf die tiefe Verschiedenheit hinweist,
welche zwischen jenem Beschluss und den sonstigen Auslieferungs-
verträgen namentlich darin besteht, dass die Auslieferungspflicht dort