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Ablehnung der Auslieferung. Hiernach würde beispielsweise ein Staat,
mit welchem das Deutsche Reich einen Vertrag abgeschlossen hat,
die Auslieferung eines Verbrechers deshalb verweigern können, weil
der letztere nach dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 nicht mehr
vor den Geschworenen, sondern vor der Strafkammer des Landgerichts
abgeurtheilt wird. Erwägt man, dass kein Staat bei Eingehung eines
Auslieferungsvertrages die Absicht haben kann, auf die natürliche
Fortentwicklung seines Rechtes zu verzichten, so wird man kaum
geneigt sein, den Rechtsstandpunkt des Verfassers oder seine praktische
Unterscheidung sich anzueignen und nur so viel zugeben, dass eine
offenbar den berechtigten Interessen der Angeklagten widerstrebende
Aenderung, sei es der Organisation und Zuständigkeit, sei es des Ver-
fahrens, zur Einstellung des Vollzugs des Vertrags berechtigen würde,
da hierin die Verletzung einer wesentlichen, wenn auch stillschweigen-
den Voraussetzung des Vertragsabschlusses gefunden werden müsste.
Das fünfte Buch ist dem Verfahren der Auslieferung ge-
widmet. In dieser Beziehung besteht bekanntlich eine tiefgreifende
Verschiedenheit zwischen dem englisch-amerikanischen und dem con-
tinentalen Recht hinsichtlich der Frage, ob der ersuchte Staat berech-
tigt ist, in eine Untersuchung darüber einzutreten, ob der auszuliefernde
Beschuldigte der ihm zur Last gelegten That wirklich verdächtig ist
oder nicht. Nach jenem Recht ist zu prüfen, ob der vorgelegte Be-
weis im Inlande zur Verweisung in die Hauptverhandlung hinreichen
würde, wobei jedoch ausländische Protokolle, soweit sie dem inlän-
dischen Beweisrecht entsprechen, zu berücksichtigen sind; auch werden
Entlastungsbeweise, sofern sie auf die Zerstörung des Hauptbeweises
gerichtet sind, zugelassen. Das continentale Vertragsrecht sieht da-
gegen von einer auch nur summarischen Ueberprüfung des Beweises
grundsätzlich ab, betrachtet den ausländischen Haftbefehl als genügende
Belastung und begnügt sich mit der Feststellung der besonderen
Voraussetzungen der Auslieferung (Auslieferungsdelikt, nicht politischer
Charakter u. s. w.). Lammascn verwirft, wie früher erwähnt, die eng-
lisch-amerikanische Praxis als dem Grundgedanken der Auslieferung
widersprechend, befürwortet aber eine wohl zulässige Ergänzung des
continentalen Systems dahin, dass dem Verfolgten das Recht gegeben
würde, mittelst einer sofort zu bewirkenden Beweisführung die Grund-
losigkeit der Anschuldigung darzuthun, indem er z. B. sein Alıbi
beweist. Wenn der Verfasser aber den Haftbefehl nur für die Ver-
haftung als ausreichend erklärt und für die Auslieferung einen nach