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Staatsrecht möglicherweise die Gemeinden; als Beispiel der zweiten
Art dürften die Gliedstaaten im Reiche dienen.
Zwischen den beiden Arten von Autonomie besteht ein erheb-
licher Unterschied für den Fall, dass die autonome Satzung dem Willen
des oberen Rechtssubjektes widerspricht. Die abgeleitete Autonomie ist
schon begrifflich nichts ohne den Willen ihres Souveräns. Eine Ueber-
schreitung ihrer Ermächtigung, ein Widerspruch ihrer Ordnungen
gegen die des Souveräns kann rechtliche Wirkung nur haben in Kraft
einer neuen Ermächtigung, die ja auch in stillschweigender Duldung
liegen mag. Eine ausdrückliche Nichtigerklärung durch das obere
Rechtssubjekt macht den autonomen Rechtssatz immer von selbst ver-
schwinden. Es ist leicht die Probe zu machen an den oben genannten
Beispielen. — Die ursprüngliche Autonomie dagegen erzeugt an sich
Recht, auch im Widerspruch gegen den Souverän, ihr Recht wird nur
von aussen überwunden durch das stärkere Recht des Letzteren,
welches ihm die Verwirklichung entzieht und es also der Geltung
entkleidet. Reichsrecht bricht Landesrecht. Diese Ueberwindung kann
aber mehr oder weniger vollkommen sein. Im Reichsverbande voll-
zieht sie sich für Civil- und Strafrecht von selbst duich die Landes-
gerichte und vor Allem durch den grossen Regulator des Reichs-
gerichts. Aber ausserhalb dieser Rechtstheile ist schon hier ein
bleibender Widerspruch denkbar. Ein Gliedstaat mit eigenem Militär-
fiscus legt z. B. durch Gesetz seinen Garnisonsstädten besondere Pflicht-
ausgaben auf zu Gunsten der Garnisonsverwaltungen, in Widerspruch
mit dem reichsgesetzlichen Grundsatz der gleichen Vertheilung der
Militärlasten. Seine Behörden vollziehen das Gesetz, die Gemeinden
fügen sich oder werden mit ihren Beschwerden abgewiesen. Bundes-
rath und Reichstag erklären einstimmig, das Gesetz sei reichsrechts-
widrig und ungültig. Der Gliedstaat ist anderer Meinung und beharrt
dabei. Zur Bundesexecution wird man deshalb nicht schreiten. Das
Landesgesetz ist unter solchen Umständen zweifellos geltendes Recht.
Die kirchliche Rechtsbildung könnte nur unter den Gesichtspunkt
einer Autonomie der zweiten Art gebracht werden. Man wird im
Ernste nicht behaupten wollen, dass dieselbe eine vom Staate ab-
geleitete, von ihm verliehene Befugniss vorstelle. Sie steht auf eigener
Grundlage. Der Verfasser selbst beruft sich für seine Auffassung der
kirchlichen Autonomie auf Sonn in Zeitschr. f. K. R. XI, S. 169, wo ge-
sagt ist: Die Kirchengewalt ist nicht Staatsgewalt, sie istin der Staats-
gewalt nicht enthalten, sie ist von der Staatsgewalt nicht abgeleitet.