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Welt der Wirklichkeiten als Thatsachen aufweist, dürfen wir nicht
aus dem Reich der Begriffe verbannen, sonst werden unsere Begriffe
Parteiprogramme. Von dem kirchlichen Rechte insbesondere können
wir nicht zugeben, dass es auf das blosse Wort des Staates hin auf-
hören müsse, Recht zu sein. Für den Staat und seine Diener frei-
lich muss .das staatliche Gesetz beim Widerspruch des kirchlichen
immer und überall das einzig massgebende sein, das ist der praktisch-
politisahe Standpunkt. Die wissenschaftliche Beobachtung aber wird
die beiden um ihr Dasein ringenden Rechtsordnungen gleichmässig
aand ohne grundsätzlichen Vorzug im Auge behalten müssen.
Es scheint mir übrigens, dass in seinen Einzelausführungen auch
der Verfasser dieser Auffassung näher steht, als er es Worts haben
Am evangelischen Kirchenrechte kommt der gleiche grundsätz-
liche Standpunkt des Verfassers in entsprechend anderer Weise zur
Geltung. Hier handelt es sich nicht um Widersprüche, sondern um
Anlehnungen und Uebereinstimmungen. So manches Rechtsinstitut
der neueren Kirchenverfassungen scheint sein Vorbild in ähnlichen
Gebilden des staatlichen Rechtes zu haben. Für den Verfasser aber
ist diese Uebereinstimmung eine tiefere und selbstverständlichere, als
es die wesentlichen inneren Verschiedenheiten zulassen dürften.
In der Darstellung der neuen Organisation in Preussen z. B.,
die ja allerdings mit der gleichalterigen Selbstverwaltungsgesetzgebung
vielfache Berührungspunkte hat, betont er den Gemeindecharakter
des kirchlichen Kreises und der höheren Synodalbezirke (S. 389,
‚394, 399). Gegen HiwscHrus, welcher den Synodalkassen juristische
Persönlichkeit in der Form der „öffentlichen Anstalt“ (Stiftung) zu-
spricht, vertheidigt er für diese Kassen die Eigenschaft als blosse
Organe der hinter jeder stehenden Gemeinde, welche ihrerseits wesens-
‚gleich ist der Einzelgemeinde (S. 389, Note 3).
Er glaubt sich hiefür ‚auf Rıcmater-Dove 8. 588 Note 8 berufen
zu können (8. 389 Note 2); aber wohl mit Unrecht, denn dort ist
nicht gesagt, was der Verfasser ceitirt: „Der kirchliche Kreis sei von
der Einzelgemeinde nur dem Umfang nicht dem Wesen nach ver-
schieden,“ sondern es heisst: „Jeder umfassendere Kirchenkreis (ist)
ein Complex von Kirchengemeinden mit einer Mission, welche von
der der Ortskirche dem Umfange, nicht dem Wesen nach verschieden
ist.“ Diese Stelle ist fast wörtlich entnommen aus der Schrift von
HERMANN, die nothwendigen Grundlagen einer die conf. und syn. Ord-