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Versammlungspolizeirecht jeder Einflussnahme durch die Polizei
entrückt sein, gleichwohl kann die Polizei weitgehende Massregeln
gegen dieselbe aus Gründen der Sanitäts-, Sicherheits- oder Sitt-
lichkeits-Polizei ergreifen. Kann nun gesagt werden, dass die
Vorschriften des Vereins- oder Versammlungsgesetzes, welche die
Befugnisse der Polizei beschränken, ein subjectives Recht des
Einzelnen mit der Wirkung begründen, dass eine bestimmte
Willens- oder Interessensphäre desselben gegen Eingriffe seitens
der Verwaltung schlechthin geschützt erscheint? Bildet ein
geschütztes Interesse, oder der auf dasselbe gerichtete Wille des
Einzelnen den Inhalt des Rechtes, so reicht das Recht doch nur
so weit, als das Interesse wirklich gegen Eingriffe jeder Art
®) Vgl. Entscheidung des Preuss. Oberverwaltungsgerichtes bei JEBENS,
v. MEYEREN und Jacopı Bd. VI n. 56, woselbst gesagt wird: „dass die Ge-
währleistung bezw. Regelung des Versammlungsrechtes durch Art. 29 der
Verf.-Urk. die Anwendung der allgemeinen Gesetze auf Versammlungen nicht
ausschliesst, somit also auch nicht ein Einschreiten der Polizei zur Verhin-
derung des Zusammentrittes von Versammlungen in geschlossenen Räumen
oder zur Beschränkung derselben auf eine gewisse Zahl von Theilnehmern
auf Grund anderweitiger, dem durch jene Vorschriften geregelten Gebiete
des Versammlungsrechtes nicht angehörigen gesetzlichen Bestimmungen, wie
des $ 10 Tit. 17 Th. II A. L.-R., welcher der Polizei die Verpflichtung auf-
erlegt, nicht nur die öffentliche Ordnung in der Ausübung des Versamm-
lungsrechtes zu wahren, sondern auch darüber hinaus Veranstaltungen zur
Abwendung der dem Publicum bevorstehenden Gefahren zu treffen. Die
Polizeibehörde ist also beispielsweise unbedenklich für befugt zu erachten,
eine Versammlung von einem Lokale fern zu halten, das mit dem Einsturz
droht oder von ansteckenden Krankheiten inficirt ist, und nach eben denselben
Gesichtspunkten erscheint es rechtlich zulässig, dass die Polizeibehörde dem
Unternehmer einer Versammlung die äusserste Grenze der Zahl von Theil-
nehmern angibt, deren Innehaltung sie im sicherheitspolizeilichen Interesse
zu erzwingen genöthigt ist“ u. s. w. — Aehnlich a. a. O. IX n. 57 und XI
n. 54; an letzterer Stelle heisst es: „Indem Art. 29 entgegen dem früheren
Rechtszustande allgemein das Recht, sich ohne vorgängige obrigkeitliche
Erlaubniss in geschlossenen Räumen zu versammeln anerkennt, räumt der-
selbe der Gesetzgebung des Staates gegenüber solchen Versammlungen nicht
eine derartige Ausnahmestellung ein, dass dieselben zugelassen werden
müssten, auch wenn das Zusammentreten und Verweilen von Menschen an
bestimmten Orten oder unter besonderen Voraussetzungen nach gar nicht
zur Regelung des Versammlungsrechtes erlassenen, sondern anderen Gebieten
angehörigen gesetzlichen Vorschriften unzulässig erschiene.“