Ist der in dem zweiten Absatz des $ 4 Nr. 3 des
Reichsstrafgesetzbuches zur strafrechtlichen Ver-
folgung erforderte Antrag der zuständigen aus-
ländischen Behörde nach den Vorschriften der
SS 61 ff. dieses Gesetzbuches zu beurtheilen?
Von
SIEGMAR FRIEDLAENDER
in Ostrowo.
Am 20. Juni 1887 kam vor dem Schwurgericht zu O. die Strafsache
wider die verehelichte Marianna K. aus D. wegen Mordes zur Verhandlung.
Die Angeklagte war als früher verehelichte Wirth und Tischler
Marianna W. in Skomlin in Russisch-Polen wegen derselben 'That von der
Kaiserlich Russischen Anklagebehörde unter Anklage gestellt und ist durch
das Urtheil des Kaiserl. Russischen Bezirksgerichts zu K. vom 27. März
1881 für schuldig befunden, in Gemeinschaft mit ihrem Liebhaber Michael S.
ihren Ehemann Joseph W. vorsätzlich ohne Vorbedacht getödtet zu haben,
und auf Grund der 88 1453. 6. 7. 19 und 25 des Russischen Strafgesetzes
zum Verlust aller Standesrechte und zur Verweisung zu Zwangsarbeiten in
Fabriken auf 6 Jahre, sowie nach Beendigung dieser Straffristt zur An-
siedelung in Sibirien verurtheilt worden. Nach Erlass dieses Urtheils ist sie
auf dem Transporte entsprungen, hat sich nach Preussen geflüchtet und hier
unter dem Namen Hedwig G. mit dem deutschen Staatsangehörigen Joseph
K. in D. sich verheirathet. Da sie durch die Verheirathung die Eigenschaft
einer Deutschen erlangt hat und deshalb ihre Auslieferung nach Russland
behufs Strafverbüssung ausgeschlossen war, so ist auf Antrag des Kaiserl.
Russischen Ministerii der auswärtigen Angelegenheiten vom 15./27. Februar
1886 von der Königl. Staatsanwaltschaft zu Ö. von Neuem wegen des von
ihr gegen das Leben ihres Ehemannes W. begangenen Verbrechens Anklage
erhoben und von der Strafkammer des Königl. Landgerichts zu O. wider
sie wegen dieses Verbrechens das Hauptverfahren eröffnet worden.
41*