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um zu verhüten, dass gegen Ausländer, welche die Reichsangehörigkeit
erworben haben und in Folge dessen gemäss $ 9 des Reichsstrafgesetzbuchs
aer ausländischen Regierung zur Verfolgung nicht überliefert werden dürfen,
wegen früher von ihnen im Auslande begangener strafbarer Handlungen
eine strafrechtliche Verfolgung in Deutschland allzuleicht und ausnahmslos
eingeleitet werde. Es sollte nicht eine dauernde Rechtsunsicherheit für
solche Individuen geschaffen, sondern im Gegentheil ihnen eine gewisse
Garantie für einen gesicherten Rechtszustand im Inlande, ein Schutz der
persönlichen Freiheit gewährt und etwaige materielle Ungerechtigkeiten, die
sich aus der ausnahmslosen Einleitung der strafrechtlichen Verfolgung
ergeben könnten, verhindert werden.
Der Grundbegriff aller Strafbarkeit liegt an sich darin, dass derjenige
Staat, in dessen Bezirk die strafbare Handlung begangen ist, auch das
Recht zu strafen hat, und dass, wenn er dieses Recht nicht ausüben will,
damit gewissermassen schon von ihm selbst die Handlung nicht so auf-
gefasst wird, dass sie verfolgt werden könnte oder müsste. Die deutsche
Strafgewalt wird in den meisten Fällen an der Verfolgung bezw. Bestrafung
von Ausländern, welche die Reichsangehörigkeit erworben und vorher im
Auslande strafbare Handlungen begangen haben, ein unmittelbares
Interesse nicht haben; es kann aber auch Fälle geben, wo auch die aus-
ländische Strafgewalt ein Interesse an der nachträglichen Bestrafung solcher
Individuen nicht hat.
Aus diesem Grunde und ferner, weil eine Auslieferung solcher Aus-
länder, welche durch Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit Inländer
geworden sind, nicht mehr zulässig ist, soll die strafrechtliche Verfolgung
in den genannten Fällen nur insoweit zugelassen werden, als thatsächlich
ein Interesse des Auslandes an der Bestrafung vorliegt, und dieses Interesse
seitens des Auslandes durch Stellung eines bezüglichen Antrages zu erkennen
gegeben wird.
Dieser Antrag auf Verfolgung soll also an Stelle des gesetzlich nicht
zulässigen Auslieferungsantrages treten; er stellt sich als ein dem Auslieferungs-
antrag entsprechender, diesen ersetzender dar’). Es handelt sich sonach,
wie aus alledem folgt, bei diesem Antrage um ein amtliches Verlangen, ein
amtliches Ersuchen, es handelt sich darum, den Staat, an welchen dieser
Antrag gerichtet wird, und seine Strafgewalt für die Sühne der vorgefallenen
Verletzung der Rechtsordnung zu interessiren, also um eine Anregung zur
Uebernahme einer strafrechtlichen Untersuchung, um eine Erklärung von
Staat zu Staat.
Es entspricht dieses Erforderniss des $ 4 Nr. 3 Abs. 2 des Reichs-
1) Ein Unterschied ergibt sich nur insofern, als der Auslieferungs-
antrag den Zweck hat, den Verfolgten der Strafgewalt des ersuchenden
Staats zuzuführen, und sonach wesentlich im Interesse der Strafrechtspflege
dieses Staats gestellt wird.