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in den Anschauungen der Praxis. Man muss nicht glauben, dass
unsere Praktiker alle die Kämpfe um die Feinheiten der Con-
struction im Geiste mitgemacht haben, in welchen unsere Theore-
tiker seit hundert Jahren sich abarbeiten. Sie halten sich an ein-
fachere, man möchte sagen, derbere Vorstellungen. Und nament-
lich die Rechtsbegriffe des Verwaltungsrechts — seit wie lange
sind sie denn schon den breiteren Schichten unseres Juristen-
standes handlich geworden? Hier gibt das Civilrecht das natür-
liche Mass aller Dinge. Der freiwillige Eintritt in Civil- und
Heerdienst ist selbstverständlich ein Vertrag; wenn man ihn
einen öftentlichrechtlichen nennt, so ist dem unbekannten Dinge,
dem öffentlichen Rechte genug gethan®®). Er wird auch ganz
wie ein anderer Dienstvertrag, d. h. wie ein civilrechtlicher Ver-
trag behandelt — aber nur bis zu einem gewissen Punkte. In
seinen Wirkungen. ist etwas, das sich nicht nach dem Muster
der ‚locatio cönductio operarum denken lässt. Die staatliche
Dienstpflicht, der militärische Gehorsam sind etwas ganz anders
Ernsthaftes. Ist des Königs Rock einmal angezogen, so schlägt
das civilrechtliche Vertragsverhältniss in seinen wesentlichen
Punkten um in ein strengeres, einseitigeres, nach einem Rechte,
welches dem Staate eigenthümlich ist. So entsteht ein Gesammt-
bild, wie das, welches die hier besprochene Theorie in wissen-
schaftlicher Form gibt. Die Neigung des Praktikers, den ge-
wohnten Boden des Civilrechts nur zu verlassen, wo die zwingende
Nothwendigkeit der Thatsachen es verlangt, trifft im Ergebniss
zusammen mit der konservativen Rechtswissenschaft, welche das
Gebiet der eigenthümlichen Formen des öffentlichen Rechts auf
einen möglichst kleinen Spielraum beschränkt.
In der Sache selbst haben wir also einen grundsätzlichen
86) Fine Reihe von Aeusserungen von Gesetzen, Verordnungen, amt-
lichen Formularien, welche Reum (Annalen 1885, $. 126 ff.) anführt als
Beweise aus dem positiven Rechte“ für die Vertragsnatur der Anstellung,
zeugen von dem Vorhandensein dieser Auffassung.