Full text: Archiv für öffentliches Recht.Dritter Band. (3)

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Erbrecht. Ein festes, einheitliches Princip fehlte ganz natur- 
gemäss da, wo die staatlichen Verhältnisse so lose waren, wie 
in den ersten Jahrhunderten nach der Gründung der Rurik- 
dynastie. Erst an das Moskowische Fürstenthum setzt sich 
während der Tartarenherrschaft dauernd ein zäher, entschlossener 
und rücksichtsloser politischer Gedanke an. Die erbliche Ein- 
herrschaft wird hier allmählich principiell durchgeführt; schon 
gegen Ende des 15. Jahrhunderts begegnen wir einem ganz be- 
stimmten Ansatz im Sinne der Linealprimogeniturerbfolge. Aber 
die politischen Ereignisse im Zusammenhang mit den Dynastie- 
wechseln im 16. und 17. Jahrhundert und der Regentschafts- 
frage im 17. und 18. Jahrhundert — brachten das für das 
grosse Reich nothwendige Princip der Lineal-Primogenitur immer 
und immer wieder aus dem angestrebten Gefüge: es wurde ent- 
weder umgangen oder fand keinen sichtbaren Ausdruck. 
PETER DER Grosse, im Gram und Zorn über den (bekannten) 
Ungehorsam seines einzigen Sohnes, glaubte, im Interesse für 
das Wohlergehen seines Landes, das erbliche Thronrecht ganz 
aufheben zu müssen. Er führte die testamentarische Thronfolge 
ein, — aber er selbst hat kein Vermächtniss hinterlassen. Die 
kühne, radicale und etwas demokratische Art, wie der grosse 
Zar mit seiner Reform vorging, war sehr bemerkenswerth. - Sein 
Vorgehen war für die Begriffe jener Zeit ein ganz aussergewöhn- 
liches und wenig verständliches, und der energische Zar, ein 
Selbstherrscher, wie nur je einer es gewesen, aber auch würdig, 
wie kein anderer, ein solcher zu sein, sah sich veranlasst, nicht 
nur mit Gewaltmitteln dem gethanen Schritt kategorischen Ge- 
horsam zu erzwingen, sondern auch die freie Ueberzeugung der 
Unterthanen für die Reform nachsuchen und gewinnen zu müssen. 
Er liess sich daher von allen Unterthanen das neu angeordnete 
Testamentsthronfolgegesetz besonders beschwören (1722), gleich- 
sam als einen Staatsgrundvertrag, und ordnete an, eine 
historisch-naturrechtlich und theologisch motivirte Rechtfertigung
	        
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