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beziehungsweise aus denselben abgeleiteten Theorien. Indem aber
JELLINEK die staatsrechtlichen Normen auch der ausserdeutschen
constitutionellen Staaten in umfassendem Masse heranzog und den
geschichtlichen Entwickelungsgang der Institutionen und Lehren,
welche den Gegenstand seiner Erörterungen bilden, sorgfältig
darzulegen sich bestrebte, hat er für die wissenschaftliche Bear-
beitung und Lösung zahlreicher schwieriger Fragen des constitutio-
nellen Staatsrechts eine ausgedehntere und tiefere und somit
sicherere Grundlage gegeben. Dass der Verfasser auch in diesem
Werke die Fähigkeit scharfen juristischen Denkens bekundet,
braucht wohl kaum ausdrücklich hervorgehoben zu werden. Wenn
er, besonders hinsichlich der Grundlehren, nicht wenige seiner
früheren Behauptungen jetzt modificirt oder aufgegeben hat, so
wird man darin eine Frucht gewissenhafter erneuter Prüfung zu
begrüssen haben. Allerdings dürften auch manche seiner gegen-
wärtigen Aufstellungen sich nicht als dauernd haltbar erweisen.
Die rechtsgeschichtlichen, beziehungsweise rechtsvergleichen-
den, Erörterungen hat JELLINEK als erste Abtheilung seines Buches
(S. 1—188) der „Theorie des Gesetzes und der Verordnung“
(S. 189—412) vorausgeschickt. Vornehmlich den constitutionellen
Rechtssätzen Englands, Frankreichs und Belgiens und den für
dieselben massgebend gewordenen oder aus denselben abstrahirten
Rechtsideen ist hier eine sorgfältige geschichtliche Verarbeitung
zu Theil geworden; diese Ausführungen bieten insbesondere gegen-
über den von L. v. STEIN und von GNEIST gegebenen, theilweise
nur fragmentarischen, Nachweisen werthvolle Ergänzungen und
Berichtigungen?). Viel kürzer hat JELLINEK die geschichtlichen
Gestaltungen des Gesetzes- und des Verordnungsbegriffs (sowie
die Geschichte der damit zusammenhängenden Institutionen) im
deutschen Staatsrecht behandelt, anscheinend weil er voraussetzt,
?) Jedoch nicht in allen Punkten erscheint JELLINEK's Polemik gegen
Gneist's Auffassungen des englischen Staatsrechts als durchschlagend (vgl.
insbes. unten, III, 5).