— 270 —
Der Charakter des Rechtes im subjectiven Sinne muss sich
stets nach dem Wesen jener Rechtsnorm bestimmen, durch
welche das jeweilig in Betracht kommende Interesse geschützt
wird?®). Im Sinne unserer obigen Ausführungen wird als öffent-
liches Recht im subjectiven Sinne jede Berechtigung anzusehen
sein, welche einer öffentlichen Gesellung als solcher oder dem
Einzelnen als Mitglied eines solchen Verbandes zusteht, wo-
gegen als Privatrecht im subjectiven Sinne jede Berechtigung zu
verstehen sein wird, welche einem Rechtssubject als einem für
sich erfassten Individuum, sohin ohne Beziehung auf die
öffentlichen Verbandsverhältnisse zusteht.
Wenn Tuon’?”) den Privatanspruch als das Kennzeichen des
Privatrechtes erklärt, so ist hiegegen zu erinnern, dass natur-
gemäss stets vorerst die Norm vorhanden sein muss, ehe von
einem rechtlichen Anspruch die Rede sein kann, dass sonach
allerdings aus dem Wesen der Norm der Charakter des An-
spruches erschlossen werden kann, nicht aber umgekehrt?®). Der
Anspruch als Befugniss zum Einschreiten bei der hiezu bestimm-
ten Behörde ist lediglich ein accessorium des Rechtes im sub-
jectiven Sinne, und schon allein der Umstand, dass THuox sich
genöthigt sah, die leges imperfectae sowie diejenigen Normen, bei
denen sich die Rechtsfolge unmittelbar mit der Uebertretung
realisirt, von der Eintheilung des Rechtsstoffes in Privat- und
öffentliches Recht überhaupt auszuschliessen, lässt die Ueber-
zeugung von der Richtigkeit des von Tnon eingeschlagenen Weges
nicht aufkommen. Allerdings entspricht das Vorgehen von Amts-
wegen oder auf Antrag eines öffentlichen Organes weit besser
76) Umgekehrt sucht jedoch Brmz (Pandecten I, $$ 24, 64, 68) den
Charakter des objectiven Rechts nach den subjectiven Berechtigungen zu be-
stimmen.
77) Rechtsnorm und subjectives Recht (1878), S. 133; vgl. auch Inerıng,
Geist d. r. Rechts III, 8 61, S. 828: „Die Klage ist das Kriterium der
Privatrechte.“
?8) BierLne, Kritik, $ 194, S. 153.