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Hand, und wenn auch dieses Argument mehr de lege ferenda als
de lege lata anzuführen ist, so darf es doch immerhin im Ver-
eine mit andern zur Unterstützung der im Vorstehenden auf-
gestellten Behauptung angeführt werden. Weiter auf diese Frage,
welche aus Anlass des Falles von Schalscha vor einiger Zeit ein
akutes Interesse besass, seitdem aber rasch von der Tagesordnung
verschwunden ist, einzugehen, dürfte bei einer rechtsvergleichenden
Darstellung nicht der geeignete Ort sein; nur soviel wollen wir noch
bemerken, dass mit Ausnahme der konservativen Parteien im Reichs-
tage sämmtliche Parteien darüber einig waren, dass die Verneh-
mung eines Abgeordneten über Gregenstände seiner beruflichen
Aeusserungen eine Verletzung des Art. 30 der R.-V. enthielte *).
Die Unverantwortlichkeit des Abgeordneten hat zur Folge,
dass der Richter, sowohl der Straf-, wie der Civilrichter nicht in
der Lage ist, die berufliche Aeusserung desselben rechtlich zu
qualifiziren; es ist eine Verletzung der Privilegien des Reichs-
tags, wenn in einem Urtheile die Aeusserung eines Abgeordneten
als Beleidigung oder Verläumdung charakterisirt wird; es ist eine
Verletzung der Privilegien, wenn der Strafrichter die an sich
beleidigende Aeusserung eines Abgeordneten mit einer gegen ihn
verübten Beleidigung kompensirt, denn hierdurch würde die beruf-
liche Aeusserung des Reichstagsabgeordneten dem Strafgesetze
unterworfen, also gerade das herbeigeführt, was die Verfassung
vermieden wissen will; mit vollem Rechte hat desshalb das Reichs-
gericht das Urtheil eines Gerichtes, welches von der entgegen-
gesetzten Ansicht ausgegangen war, wegen irrthümlicher Aus-
legung des Gesetzes vernichtet, und wenn auch zugegeben werden
mag, dass diese Konsequenz, von dem Gesichtspunkte des Schutzes
der Ehre betrachtet, eine recht bedenkliche ist, so kann doch
nicht bestritten werden, dass sie aus dem durch Art. 30 auf-
gestellten Grundsatze sich mit logischer Nothwendigkeit er-
giebt °).
*) Die ausführliche Begründung dieser Ansicht enthält die Abhandlung
des Verfassers, die Zeugnissverweigerungsbefugniss der Mitglieder des deut-
schen Reichstages, Annalen 1888 Heft 1, S. 6—21.
6) Entscheidung des Reichsgerichts vom 5, März 1881, Rechtsprechung