Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierter Band. (4)

— 350 — 
kursgericht gegen den Gemeinschuldner behufs Sicherung der 
Masse oder Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten verhängt, 
K.-O. 88 93, 98, kann gegen Reichstagsmitglieder während der 
Dauer der Tagung ohne Genehmigung der Versammlung nicht 
vollstreckt und muss auf ihr Verlangen für den genannten Zeit- 
raum unterbrochen werden. Wenn man aber das Gleiche von 
der auf Grund der 88 178 und 179 des Gerichtsverfassungs- 
gesetzes wegen Ungebühr oder Ungehorsams verhängten Haft be- 
hauptet?), so übersieht man, dass in diesen Gesetzesbestimmungen 
von einer Civilhaft überhaupt nicht die Rede ist, sondern von 
einer Ordnungsstrafe. 
Die persönliche Unverantwortlichkeit der Reichstagsabge- 
ordneten für ihre Abstimmungen und in Ausübung ihres Berufes 
gethane Aeusserungen ist durch $ 11 des St.-G.-B. den Mit- 
gliedern aller deutschen gesetzgebenden Versammlungen zugesichert 
worden, so dass insoweit die Verfassungsbestimmungen der Einzel- 
staaten durch das einheitliche Reichsrecht modifizirt worden sind. 
Der im Reichstage dem von den Regierungen vorgelegten Entwurf 
eines Strafgesetzbuchs hinzugefügte Artikel lautet: „Kein Mitglied 
eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reiche gehörigen 
Staates darf ausserhalb der Versammlung, zu welcher das Mit- 
glied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Aus- 
übung seines Berufes gethanen Aeusserungen zur Verantwortung 
gezogen werden.“ Trotzdem die Formulirung dieses Artikels von 
der des Artikels 30 der R.-V., die vorbildlich war, abweicht, so 
besteht doch sachlich keine Verschiedenheit zwischen beiden. 
Die Unverantwortlichkeit, welche durch $ 11 den Mitgliedern der 
Landtage und Kammern der Gliedstaaten des deutschen Reiches 
zugesichert wird, ist dieselbe wie diejenige, deren sich die Reichs- 
tagsabgeordneten erfreuen. Sie bewirkt nicht nur eine Straf- 
losigkeit der Abgeordneten, sondern auch die Unmöglichkeit, 
die beruflichen Aeusserungen zur Grundlage einer gerichtlichen 
Schadensersatzklage machen zu können; die einschränkende Aus- 
9) So Gurrzıs, Die strafprozessuale Privilegirung von Mitgliedern gesetz- 
gebender Versammlungen, Zeitschrift für die gesammte Strafrechtswissen- 
schaft Bd. VII, S. 634, Anm. 4.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.