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Die Regierung, vertreten durch ein verantwortliches Partei-
Ministerium, welches aus der jeweiligen Majorität des Parlaments
entnommen wurde, hatte die „Exekutive“, d. h. die Ausführung
der Majoritätsbeschlüsse des Parlaments,
Es wurde nun nicht bloss als ein Recht, sondern sogar
als die Pflicht dieses nur der Parlamentsmehrheit verantwort-
lichen Partei-Ministeriums angesehen, das Parteiprogramm
und dessen Grundsätze unter allen Umständen zu verwirklichen
und desshalb auch die Verwaltung (die Exekutive) partei-
mässig zu führen (Kr.-O. S. 198).
Bei dieser Auffassung fand man es in Frankreich natur-
gemäss, dass nicht bloss alle Stellen im Staate mit Anhängern
„der herrschenden Partei“ besetzt, sondern dass auch alle sonstigen
Verwaltungsmassregeln (z. B. auch Verleihung von Üoncessionen
und sonstigen Vergünstigungen u. dgl.) parteimässig gehand-
habt wurden.
Man gelangte somit zu einer direkten Umkehrung des Rechts-
staats: Verwaltung und Polizei wurden nicht den Landesgesetzen
entsprechend gehandhabt, sondern nach Parteiwillkür.
Diese durchdrang die Verwaltung von unten bis oben hinauf
zum Ministerium: Letzteres entschied die’streitigen, zweifelhaften
Fragen des Verwaltungsrechts vom Parteistandpunkte und konnte
naturgemäss nicht anders entscheiden, da es eben bei allen Streit-
fragen des Verwaltungsrechts selbst Partei war und nicht über
den Parteien stand.
Da nun die Begriffe „Rechtsstaat“ und „Selbstverwaltung“
eine und dieselbe Sache sind (Gneist’s Vorrede zu: Die Preuss.
Kreis-Ordnung $8. VI), so kann in einem gemäss den vorstebend
entwickelten Grundsätzen regierten Staate auch von einer „Selbst-
verwaltung“ nicht die Rede sein (Rechtsstaat 8. 173).
In einem solchen Staate versteht man vielmehr unter „Selbst-
verwaltung“ nur die Einrichtung von beschliessenden „Dorf-, Stadt-,
Kreis- und Provinzial-Parlamenten“ (boards, conseils), in welchen
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