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nur denjenigen treffen soll, von dem nicht erwiesen ist, ob er die
Bedeutung des Geheimnisses erkannt hat, von dem aber feststeht,
dass er dieselbe etwa auf Grund seiner Fähigkeiten hat erkennen
müssen, ist sie unnöthig. Denn bei einem solchen Manne wird
man regelmässig den Schluss ziehen können, dass er die Be-
deutung thatsächlich gekannt hat. Die Kenntniss nämlich lässt
sich als innerer Vorgang im Menschen, wenn sie nicht aus Aeusser-
ungen des Betreffenden selbst hervorgeht, gar nicht anders als
auf dem Umwege des Kennenmüssens nachweisen. Erleichtert
wird jener Schluss dadurch, dass schon die Feststellung, der
Verräther ist über die Bedeutung des Geheimnisses im Zweifel
gewesen und hat es dennoch, selbst auf die Gefahr, ein Staats-
geheimniss zu verrathen, veröffentlicht, für die Annahme des Vor-
satzes genügt, dolus eventualis. Insoweit aber jene Erweiterung
auch denjenigen umfassen will, der zwar bei gehöriger Erwägung
die Bedeutung des Geheimnisses hätte erkennen müssen, sie aber
erwiesenermassen — was, wie gesagt, ein Ausnahmsfall ist —
nicht erkannt hat, etwa weil er die Bedeutung nicht genügend
erwogen und vorschnell gehandelt hat, insoweit erscheint jene
Erweiterung verwerflich. Sie verschiebt die festen Grundlagen
des Deliktes und legt die Gefahr nahe, die gerade bei einem
politischen Verbrechen zu fürchten ist, dass die Beurtheilung der
Schuld von dem Boden des Rechtes auf das Gebiet politischer
Erwägungen verlegt wird.
Der Art. 4 verpflichtet nicht jeden Besitzer der Schriftstücke
zu der erhöhten Fürsorge, sondern nur den, welchem sie anvertraut !®)
sind, auf Grund seines Amtes, Standes, Berufes oder Auftrages,
mit dem er betraut ist. — Die Strafe ist 3 Monate bis 2 Jahre
Gefängniss und 100—2000 fres. Geldstrafe; der Regierungsentwurf
hatte nur höchstens 1 Jahr bezw. 1000 frcs. festgesetzt, die Kom-
mission hat aber die Maximalgrenzen erhöht.
Der Art. 3 wendet sich gegen die Kehrseite des Verrathes,
nämlich gegen das „se procurer les dits plans etc.“ durch eine
Person, die zur Kenntnissnahme nicht berechtigt ist. Wird auf
16) Der italienische Entwurf bestraft nur den, welcher auf amtlichem
Wege Besitz oder Kenntniss erlangt hat.