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die Verfassungsurkunde wenigstens das Princip der parlamen-
tarischen Mitwirkung für die Schaffung von Rechtssätzen aner-
kannt ist!°®%), Ausnahmen von diesem Princip durch eine ander-
weitige Verfassungsbestimmung sanktionirt sein müssen !°°). Wenn
jedoch die Verfassungsurkunde nur für gewisse Kategorieen von
materiellen Gesetzen die Zustimmung der Volksvertretung ver-
langt !*!), so ist der Monarch befugt, in allen übrigen Beziehungen,
soweit das betreffende Gebiet noch nicht von der Gesetzgebung
occupirt ist, durch Verordnungen den Rechtszustand zu normiren.
Für England scheint sich die Controverse zwischen GNEIST und
JELLINEK dahin zuzuspitzen, ob dort der Grundsatz, dass Rechts-
normen vom König nur mit Zustimmung des Parlaments gegeben
werden können, gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt hat, oder
Befugnisse beschränkt (Art. 78), ein ausgedehntes Recht der Polizeiverord-
nung ohne specielle gesetzliche Ermächtigung übt, so liegt darin entweder
eine rechtswidrige Praxis oder eine gewohnheitsrechtliche Modifikation der
Verfassung.
189) Eine Sanktionirung dieses Princips enthalten nach meiner Ansicht
insbes. auch die preussische Verf.-Urk., Art. 62, und die deutsche Reichs-
verf. Art. 5, Abs. 1.
. 160) Solche Ausnahmen statuirt die preussische Verf.-Urk. in Art. 45
(unter den zur Ausführung der Gesetze nöthigen Verordnungen sind mit
Rosm, Polizeiverordnungsrecht, S.24, Anm. 86, und G. Meyer, Lehrb. eit.,
2, Aufl, S. 466, Anm. 8, auch Rechtsverordnungen zu verstehen) und in
Art. 63. Die deutsche Reichsverfassung enthält eine specielle Ausnahme von
dem Princip des Art. 5, Abs. 1 in der Bestimmung des Art. 48, Abs. 2
(dagegen bezieht sich Art. 7, Abs. 1, Nr. 2, wie insbes. LABAnD richtig aus-
geführt hat, nur auf Verwaltungsverordnungen).
ıet) Die Bestimmung zahlreicher deutscher Landesverfassungen, dass
Gesetze, welche die Freiheit der Personen oder das Eigenthum betreffen,
nicht ohne Zustimmung des Landtags erlassen werden können, wird aller-
dings von G. Meyer (Lehrb. cit., S. 461, Anm. 4) dahin ausgelegt, dass die-
selbe alle Gesetze im materiellen Sinne umfasse.. Wesentlich die gleiche
Interpretation vertritt SeypEL, Bayerisches Staatsrecht III, S. 560 ff., S. 572
bis 573; immerhin giebt er zu (8. 573), dass die organisatorische Gesetzgebung
darnach nicht in den Bereich der Mitwirkung des Landtags falle (vgl. auch
über die Handhabung der betreffenden Bestimmung der badischen Verfassung
K. ScHENKEL in Marquardsen’s Handb. III, I, 3, S. 12).