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auf die Absicht des Gesetzgebers, resp. auf die Bedeutung des
rechtlichen Mangels für das Endresultat, an '). Wenn z. B.
ein von Kammermitgliedern ausgegangener Gesetzesvorschlag nicht
die verfassungsmässig vorgeschriebene Zahl von Unterschriften
hatte 1%), so wird dadurch die Zustimmung der betreffenden
Kammer und das auf Grund dieser Zustimmung erlassene Gesetz
nicht ungültig. Dagegen wird z. B. eine Verletzung einer Ver-
fassungs-, resp. Gesetzesvorschrift, wonach in jeder Kammer über
das Ganze von Gesetzen öffentlich mit Namensaufruf abgestimmt
werden muss !?7), Ungültigkeit der Abstimmung sowie des darauf
gegründeten Gesetzes zur Folge haben !?°). Vor allem aber muss,
wenn eine Verfassungsurkunde (oder auch nur ein einfaches Gesetz)
für gewisse Beschlüsse eine qualificirte Majorität fordert, an-
genommen werden, dass von der Beobachtung dieser Vorschrift
die Gültigkeit des Beschlusses abhängt. Die Vorfrage, ob der
zu fassende oder schon gefasste Beschluss unter die Kategorieen
von Abstimmungen gehört, für welche dieses erhöhte Erforderniss
besteht, ist allerdings von der Kammer mit einfacher Mehrheit
zu entscheiden !?°); aber eine solche Entscheidung kann an sich
185) Aehnlich v. GERBER 1. c. S. 158, Anm. 2.
186) So verlangt das württemberg. Verfassungsgesetz vom 23. Juni
1874, Art. 6, dass Gesetzesentwürfe, welche gon Kammermitgliedern aus-
gehen, in der zweiten Kammer von mindestens 15, in der ersten Kammer
von mindestens 5 Mitgliedern unterzeichnet seien. Als einziges Motiv dieser
Bestimmung bezeichnet v. SARWEY (l.c. DI, S. 226) die Absicht, aussichtslose
Verhandlungen über ungenügend begründete Gesetzesvorschläge abzuschneiden.
197) Diese Vorschrift findet sich in der belgischen Verfassung, Art. 39,
sowie in dem bayerischen Gesetz, den Geschäftsgang des Landtags betr., vom
19. Januar 1872, Art. 31, Abs. 3.
188) So behauptet auch LABAnD (l. c., 2. Aufl., I, S. 322), dass ein ent-
gegen der Bestimmung des Art. 22, Abs. 1 der deutschen Reichsverfassung
in nichtöffentlicher Sitzung gefasster Reichstagsbeschluss nichtig sei. Freilich
wird LABAnD vermöge seiner Theorie der Ausfertigung annehmen müssen,
dass, wenn der Reichstag in nichtöffentlicher Sitzung einen. Gesetzentwurf
angenommen hat, dieser Mangel gegenüber dem publicirten Gesetz nicht
mehr geltend gemacht werden kann.
19) Die juristische Literatur hat sich mit dieser Frage hauptsächlich