67 —
der Schwerpunkt dieser Verbände liegt für sie nicht im Volke,
sondern im Fürsten, dem „unabhängigen Herrn, der über andere
gebietet und selbst Niemandem dient.* Wohl ist diese Lehre
HALLER’s im Grunde „die letzte abstrakte Aussprache der mittel-
alterlichen Staatsansicht, welche er der radikalen Theorie vom
Gesellschaftsvertrage gegenüberstellt.... Er löst den Staat nicht
in Individuen, aber er löst ıhn in Fürsten und Stände, Körper-
schaften, Familien und Einzelpersonen auf. Seine ganze Staats-
lehre hat einen engpersönlichen Charakter. Sein Staatsrecht ist
wie das mittelalterliche nur ein gesteigertes Privatrecht“ '?).
Trotzdem aber enthält diese Theorie gegenüber der Vertrags-
theorie einen wissenschaftlichen Fortschritt, insofern sie die jener
eigene Atomisirung des Staates, die Künstlichkeit seiner Ent-
stehung und die Zweckidee beseitigte. Diese Fortschritte kon-
servirt die organische Theorie, während sie zugleich den Wider-
streit der Patrimonialtheorie gegen den politischen Charakter
unserer Zeit aufhebt. Und wie sie die Vertrags- und Patrimo-
nialtheorie verdrängt hat, so geht alle Opposition gegen die
organische Theorie immer noch von einer jener früheren An-
schauungsweisen aus. Auf der einen Seite erscheint die Lehre
SEYDEL’s, wonach der Staat lediglich Objekt sei, Subjekt dagegen
der Inhaber der Herrschaft über den Staat !?), als eine Wieder-
aufnahme der HaLter’schen Patrimonialidee. Gleich dieser ist
sie völlig unfähig, das Leben des modernen Staates gedanklich zu
erfassen; denn dasselbe fordert als den Mittelpunkt aller juristi-
schen Konstruktion die Anerkennung des Staates als Rechts-
subjekt !).. Auf der andern Seite nähert sich v. KRIEKEN bei
—1. | u
12) BLunTtscHLi, Geschichte der Staatswissenschaft S. 551.
18) SeypeL in Hirth’s Annalen des deutschen Reichs, Jahrgang 1876
S. 658.
14) Vgl. Gierke, Laband’s Staatsrecht und die deutsche Rechtswissen-
schaft, ScHMoLLER’s Jahrb. 1883, H. 4, S. 29; ferner derselbe: Die Grund-
begriffe des Staatsrechts etc. in der Zeitschr. f. d. ges. Staatswissenschaft
Bd. XXX (1874), S. 175.
5*