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dem rechtsphilosophischen Standpunkt verschieden ausfallen wer-
den. Der Unsicherheit des Resultates und eventuell der Werth-
losigkeit desselben wegen ist diese Untersuchung ein Unternehmen,
an dem die Wissenschaft Zeit und Kraft nicht vergeuden sollte.
Die Frage nach dem Gesetzgeber hat unmittelbar nichts mit
der nach dem Träger der Gewalt zu thun. Die concrete Ver-
fassung allein kann uns sagen, wer das Gesetzgebungsorgan ist.
So z. B. ist in der repräsentativen Demokratie, wie Hamburg,
nach herrschender Lehre Träger der Gewalt das Volk, und doch
ist dies nicht Gesetzgeber. Will man den Begriff des Trägers der
(Gewalt auch im Reichsstaatsrecht durchaus beibehalten, so kann
ıman meiner Meinung nach höchstens im Einklang mit der Eingangs-
formel der Reichsgesetze sagen: Träger der Gewalt ist das Reich.
Das sind im Wesentlichen die Stützen des Satzes: Der Bun-
desrath hat die Sanction.
Ich behaupte nun, die Reichsverfassung kennt überhaupt
keine Sanction, mithin kann auch der Bundesrath nicht ein solches
Recht haben. Für mich spricht — wie auszuführen versucht ist
— der Wortlaut der Verfassung, worauf das grösste Gewicht zu
legen ist, und woraus ich die Zuversicht schöpfe, dass die geg-
nerische Position und nicht die meinige die unhaltbare ist.
Auch folgendes Moment ist für mich beweiskräftig. Die
Beschlussfassung des Reichstags erstreckt sich nicht nur auf den
Gesetzesinhalt, sondern auch auf die unten näher zu besprechende,
den Gesetzesbefehl enthaltende Eingangsformel. Diese Thatsache
hat keineswegs nur den Zweck, dem Reichstag eine Controlle
darüber zu ermöglichen, dass die Eingangsformel mit dem für die
Reichsgesetzgebung vorgeschriebenen Verfahren in Einklang stehe.
Wie sonderbarer Art wäre diese Befugniss bei einer stereotypen
Formel! Nein, sie ist der Ausdruck dafür, dass nicht nur der
Bundesrath, sondern auch der Reichstag den Gesetzes-Befehl in
seinen Willen aufnimmt, dass der Bundesrath keineswegs das
alleinige befehlende, sanctionirende Organ ist.
Archiv für Öffentliches Recht. V. 1. 7