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GIERKE unterscheidet genau dieselben zwei Stadien. Er
spricht aber, ein anderes fundamentum divisionis zu Grunde legend,
von 1) Bildung und 2) Ausspruch des gesetzgeberischen Willens.
Danach ergiebt sich, die gesetzgebenden Factoren anlangend,
folgendes Resultat. Zu den gesetzgebenden Factoren im engeren
Sinn sind nur diejenigen Organe der Reichsverfassung zu rechnen,
welche in Bezug auf das zukünftige Gesetz Selbständigkeit und
Freiheit des Handelns haben. Diese Organe sind der Bundes-
rath und der Reichstag. Dazu ist im weiteren Sinn auch das-
jenige Organ zu zählen, welches, ohne Freiheit der Action zu
haben, mitzuwirken hat, damit das Gesetz als solches, d. h. ein
Jedermann verpflichtender Rechtsbefehl, zu Stande komme, näm-
lich der Kaiser. Kaiser, Bundesrath und Reichstag sind die Or-
gane der Reichsgesetzgebung. Aber Coordination herrscht nur
zwischen Bundesrath und Reichstag; der Kaiser ist als Organ der
Gesetzgebung diesen subordinirt.
Was die Coordination zwischen Bundesrath und Reichstag
anlangt, so ist bewiesen, dass der erstere durch die Sanction
nichts vor dem letzteren voraus habe. Auch die Eingangsformel
der Reichsgesetze ist in dieser Richtung beweiskräftig. Sie lautet:
„Wir Wilhelm etc. . . . verordnen im Namen des Reichs, nach
erfolgter Zustimmung des Bundesraths und Reichstags, was folgt“.
Hier ist in klaren, einfachen Worten gesagt, was zum Zustande-
kommen eines Reichsgesetzes, von der Publication und Aus-
fertigung abgesehen, erforderlich ist: nichts mehr und nichts
weniger als die Zustimmung von Bundesrath und Reichstag.
Den Vertretern der bundesräthlichen Sanction liegt diese Formel
natürlich im Wege: vor allen auch LaBAnnD. Derselbe nimmt
an, dass die Eingangsformel dem Vorgange, durch welchen ein
Reichsgesetz zu Stande kommt, keinen völlig getreuen Ausdruck
verleiht; er lehrt: In der Eingangsformel der Reichsgesetze ist
demnach hinter dem Worte „verordnen“ hinzuzudenken: auf Grund
und in Ausführung des vom Bundesrath Namens der verbündeten