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Inhalt tritt neben den übrigen aller Reichsgesetze, auch neben
den Inhalt der Verfassung. Denn mit Recht ist hervorgehoben,
dass der letzteren eine höhere Autorität als anderen Gesetzen
nicht zukommen kann. Ist doch die Verfassung nichts Anderes,
als ein Reichsgesetz. Darum bedarf es einer — vom Nützlich-
keitsstandpunkte vielleicht erforderlichen — Umänderung oder
Beseitigung von etwa mit dem neuen Gesetz nicht in Einklang
stehenden Worten der Verfassungsurkunde juristisch keineswegs.
Diese sind nie und nimmermehr ein Hinderniss, um die Gesetzes-
kraft jenes neuen Gesetzes zu hemmen. In diesem Sinne steht der
Wille der gesetzgebenden Factoren über der Verfassung.
Aber ganz anders verhält es sich mit der ersten Kategorie,
zu welcher Art. 78 gehört, Hier ist es für den Fall, dass man
seinen Inhalt abändern will, nothwendig, erst den Artikel selbst
zu ändern und dann auf Grund dieser neuen Bestimmung das be-
absichtigte Gesetz zu erlassen. Denn der Art. 78 und die ihm
correspondirenden Artikel stehen, solange sie gelten, über dem
Willen der gesetzgebenden Factoren, weil derselbe nur unter
der Voraussetzung, dass der betreffende Artikel, hier Art. 78, Abs. 1,
beobachtet ist, überhaupt zur Entstehung gelangt. Art. 78 ist
ein unübersteigbares Hemmniss, solange er Gesetz ist. Ein seinem
Inhalt zugegen zu Stande gekommener Wille ist kein Wille, ein
ihm entgegen zu Stande gekommenes Gesetz ist kein Gesetz.
Darum muss zunächst auf dem verfassungsmässigen, im 1. Absatz
angedeuteten Wege der Artikel selbst geändert werden. Erst
dann ist die Bahn frei.
Das Resultat dieser Betrachtung ist die Erkenntniss, dass in
denjenigen Fällen, wo der Wille der reichsgesetzgebenden Organe
zu Stande gekommen ist, das Beschlossene, von der Autorität
dieses verfassungsmässig zu Stande gekommenen Willens gedeckt,
unumstössliches Gesetz ist, — hieran kann nichts ändern, dass
sich etwa in der Verfassung eine disharmonirende Bestimmung
findet — und dass umgekehrt dort der Wille der Factoren der