— 109 —
Reichsgesetzgebung nicht existent geworden ist, wo der in der
Verfassung vorgeschriebene Weg zur Bildung dieses Willens nicht
beachtet ist.
Das Prüfungsrecht des Kaisers — das ist die Summe —
beschränkt sich auf die Constatirung, ob dieser verfassungsmässige
Weg für die Bildung des reichsgesetzgeberischen Willens zurück-
gelegt, ob überhaupt ein diesbezüglicher Wille zur Existenz
gelangt ist. Sobald er zu dem Resultat kommt, dass dies der
Fall sei, hat er keine Macht, dem, wenn einmal zu Stande gekom-
menen, so allmächtigen Willen des Reichsgesetzgebers in irgend
einer Weise hindernd in den Weg zu treten.
Daher ist es allerdings wahr, wenn gelehrt wird, dass der
Kaiser nur eine Prüfung der verfassungsmässigen Form, nicht
des Inhaltes habe, aus dem Grunde wahr, weil alles in verfassungs-
mässiger Form zu Stande Gekommene und existent Gewordene ein
Ausdruck des omnipotenten Willens der reichsgesetzgebenden
Factoren ist, an dem auch selbst der Kaiser nicht zu rütteln vermag.
Das Recht des Kaisers, seine Mitwirkung zu nicht-ver-
fassungsmässigen Schritten zu versagen, ist am wichtigsten in dem
obigen Zusammenhang, ist dort so wichtig, dass man die übrigen
Fälle leicht übersieht, in denen er ein gleiches Recht und eine
gleiche Pflicht hat. Da hier nur von der Gesetzgebung gehandelt
wird, mag es genügen, an dieser Stelle noch den Art. 16 heran-
zuziehen. Wie schon hervorgehoben wurde, ist der Kaiser auf Grund
desselben verpflichtet, die erforderlichen Vorlagen nach Massgabe
der Beschlüsse des Bundesraths an den Reichstag zu bringen.
Allein auch bei dieser Function wird man ihm das Recht zugestehen
müssen, zu prüfen, ob der Bundesrath die Vorlage in verfassungs-
mässiger und geschäftsordnungsmässiger Weise beschlossen hat.
85. Surrogate des fehlenden Vetos.
Ein wichtiges Surrogat ist nach der Ansicht des Reichs-
kanzlers die Auflösung des Reichstags. Im Jahre 1867 sagte der