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damalige preussische Ministerpräsident, Graf BismArcK, im con-
stituirenden Reichstag Folgendes, indem er annahm, dass Preussen
im Bundesrath einmal überstimmt sei: „Dann tritt allerdings
möglicherweise ein Bundesgesetz in Kraft, für welches das preussi-
sche Ministerium nicht geneigt gewesen ist, die Verantwortung
zu übernehmen, gegen welches es desshalb votirt hat; es würde
aber dann von dieser Verantwortung gewissermassen losgesprochen
sein durch diese preussischen Reichstagsabgeordneten, die ihrer-
seits die Majorität für das Gesetz hergestellt haben, trotz des
Widerspruchs: der preussischen Regierung. Jedenfalls bliebe aber
dann dem preussischen Ministerium übrig, wenn es sich nicht
fügen will, durch das Präsidium eine Auflösung des Reichstags
zu extrahiren.“ Allein der Kanzler übersah, dass zur Auflösung
des Reichstags ein Beschluss des Bundesraths erforderlich ist.
Derselbe wird in solchen Fällen den diesbezüglichen Auflösungs-
beschluss natürlich mit der nämlichen Majorität ablehnen, welche
für den Gesetzentwurf stimmte, dem Preussen widersprach.
Wirkliche Surrogate bieten dagegen die Bestimmungen
1) des Abs. 2 des Art. 5: „Bei Gesetzesvorschlägen über
das Militärwesen, die Kriegsmarine und die im Art. 35 bezeich-
neten Abgaben giebt, wenn im Bundesrath eine Meinungsver-
schiedenheit stattfindet, die Stimme des Präsidiums den Ausschlag,
wenn sie sich für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrich-
tungen ausspricht®;
2) des Abs. 1 des Art. 78: „Veränderungen der Verfassung
erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt,
wenn sie im Bundesrath 14 Stimmen gegen sich haben“.
Diese Stellen sind zu oft erläutert, um hier noch eine
genauere Besprechung zu veranlassen.
Das Motto derselben ist: Der König von Preussen kommt
mit seinen Bundesrathsstimmen dem deutschen Kaiser zu Hülfe.
Auf dem festen Pfeiler des preussischen Staates ist das Reich
aufgebaut, die kaiserliche Gewalt zum grossen Theil auf die des