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völkerrechtlicher Natur, die unsere Aufmerksamkeit erregt. Nach
der von dem Verfasser und auch sonst regelmässig vertretenen
Ansicht kann die Schweiz — also jeder neutralisirte Staat — zur
Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten, ob sie nun allgemeiner,
oder specieller, aus dem KNeutralisationsverhältniss fliessender
Natur seien, mit allen erlaubten völkerrechtlichen Zwangsmitteln
(Retorsionen, Repressalien ?) angehalten werden, ausser dem
Kriege, der im Interesse Europas ausgeschlossen sei. Nun
könnte aber ein Krieg, der nöthig geworden, um einen Staat zur
Erfüllung seiner völkerrechtlichen Pflichten anzuhalten, niemals
gegen das Interesse Europas sein, sondern unter allen Umständen
wäre das Gegentheil der Fall. Doch ist diese Begründung des
Verfassers, wie meine Bemerkung darauf, politischer Natur, und
wir wollen sie, ob sie für oder gegen spricht, bei Seite lassen.
Rechtlich aber wäre für den neutralisirten Staat offenbar ein
Privilegium gegeben, dessen consequente Ausnützung ganz unab-
sehbare Folgen für den gegenwärtigen internationalen Rechtszu-
stand nach sich ziehen würde. Man braucht eben nur zu fragen:
Was dann, wenn die erlaubten völkerrechtlichen Zwangsmittel nun
nicht ausreichen würden? Der Fall ist ja praktisch höchst wahr-
scheinlich ausgeschlossen, ein derartiger Conflict zwischen zwei an
Gesittung und Cultur und darum an internationalem Pflichtgefühl
gleichen Staatswesen kaum je zu erwarten. Allein im Bereiche
der Unmöglichkeit liegt er keineswegs; die Theorie aber hat ihn
jedenfalls in Betracht zu ziehen.
Würde nun für die neutralisirenden Staaten dies Beneficium
des anderen eine bedeutsame, unter Umständen überaus schwer
zu ertragende Obligation bedingen, so entsteht, nach dem allge-
meinen Grundsatze, dass besonderen Rechten auch besondere
Pflichten entsprechen, die Frage, welche correspondirende Ver-
pflichtung denn der neutralisirte Staat seinerseits habe gegenüber
diesem ausserordentlichen Vorrecht, das ihm die anderen eingeräumt?
Auf Seite 69 giebt der Verfasser die Antwort darauf; er sagt: