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Zweck, völlig illusorisch sein, wenn jedem Contrahenten jederzeit
das Recht zustände, nach vorhergehender Kündigung von heute
auf morgen sie aufzuheben? Und müsste nicht bei solcher Prä-
sumption irgend, eines der Betheiligten der ehrliche Politiker,
der mit der Thatsache der ewigen Neutralität rechnen wollte,
stetsfort einen gar nicht absehbaren Schaden gewärtigen ?
Ja wohl! Aber ergiebt sich anderen Falls nicht eben wieder
jene missliche Consequenz, wonach die anderen Staaten seitens
des neutralisirten machtlos jeglichem, in was immer für einer
Form erscheinenden Terrorismus ausgesetzt sind, da ihnen das
letzte völkerrechtliche Zwangsmittel, der Krieg, ein für allemal
ex jure gentium benommen ist? Oder nehmen wir an, dass auch
nur einer von den übrigen Staaten durch aggressive Einflüsse,
die von dem neutralisirten über seine Grenze strömen, in seiner
Ordnung und seiner Sicherheit sich gefährdet sähe, während alle
übrigen sich ganz wohl dabei befinden, wäre auch nur dieser
eine Staat allein völkerrechtlich zu solcher Duldung gehalten ?
Wir behaupten: nein, ganz sicher nein! Wir wollen uns
nicht einmal darauf berufen, dass das eigene Wohl noch immer
die ultima ratio im Völkerverkehr und das Recht auf Existenz
ein Postulat des Völkerrechts ist, das vor allem Vertragsrechte
gilt. Wir behaupten vielmehr: aus der Natur des Neutralisations-
verhältnisses folgt keineswegs der Ausschluss eines Krieges mit
dem neutralisirten Staat unter allen Umständen, und auch die
etwaigen Garanten sind keineswegs unter allen Umständen zur
Intervention für ihn verpflichtet bezw. berechtigt. Ich folgere
dies aus dem muthmasslichen Willen der Contrahenten des Neu-
tralisationsvertrages, ich folgere es vor allem aus der Natur des
Neutralisationsverhältnisses,
Die gegenwärtige Theorie ist noch nicht zu einem Verständ-
niss dieser Natur gelangt, Die HıLrTy'schen Ausführungen und
die Consequenzen, denen dieselben unterliegen, beweisen dies.
Und sie konnte zu keinem klaren Verständniss gelangen, so lange