— 140 °—
bedauerlicher, als er schwer zu heilen ist, und da derselbe nicht an der
Oberfläche liegt, so wird erst ein längeres Studium oder gar erst die Praxis
— zum grossen Nachtheile für unser Volk — je länger desto mehr zur
Erkenntniss desselben führen. Da die bisherige Gesammtarbeit diesen
Mangel wesentlich verschuldet haben dürfte, so wird die Einzelarbeit der
zweiten Lesung der richtige Weg sein, um zu einem möglichst befriedigenden
Resultat zu gelangen.
Dass die Commission sich auf das sogenannte „reine Privatrecht“ be-
schränkte, entsprach der ihr vom Bundesrathe ertheilten Aufgabe, und auch
die Ausscheidung verschiedener Gebiete des bürgerlichen Rechtes war von
dem Bundesrathe gewünscht. Wenn aber unsere Beiträge innerhalb dieser
eng gezogenen (irenzen noch wesentliche Lücken zu entdecken vermögen, so
darf man sich darüber wohl kaum so leicht trösten, wie PETERSEN (Heft 16,
Seite 10), indem er bemerkt:
„dass Lücken vorhanden sind, mag zugegeben werden; ist aber bei
einem Werke von so grossem Umfange nicht zu verwundern. Die
Ausfüllung derselben wird, soweit die erhobenen Vorwürfe als begrün-
det erscheinen, allzugrosse Schwierigkeiten nicht verursachen.“
Hier mag nur einer solchen Lücke gedacht werden, auf welche BEKKER
(Heft 2, Seite 10) hingewiesen hat, nämlich des gänzlichen Mangels an Be-
stimmungen über die örtliche Herrschaft der Rechtsnormen. Wenn die
Motive zum Einführungsgesetze es als selbstverständlich bezeichnen, dass das
örtliche Geltungsgebiet des bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich
eben das Deutsche Reich sei, so kann man dem wohl zustimmen. Nachdem
das Reichsland Elsass-Lothringen laut $ 2 des Gesetzes vom 25. Juni 1873
dem Bundesgebiete hinzugefügt worden, wird man gemäss Art. 5 des Ein-
führungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuche auch noch dieses Reichsland
mit zu dem örtlichen Geltungsgebiete des Gesetzbuches zu rechnen haben.
Zwar führt nach dem Wortlaute der Verfassung des Deutschen Reiches
(G.-S. 1871, Seite 64) nur der zwischen dem Norddeutschen Bunde und den
besonders namhaft gemachten Staaten Bayern, Württemberg, Baden und
Hessen abgeschlossene Bund den Namen des Deutschen Reiches,
und wenngleich Elsass-Lothringen dem im Art. 1 dieser Verfassung bezeich-
neten Bundesgebiete hinzugefügt wurde, so ist das Reichsland dadurch
doch kein Bundesstaat geworden, und es bedurfte erst der im Art. 5 des
Einführungsgesetzes ausgesprochenen Fiction, dass das Reichsland als Bundes-
staat gelten solle, um den Schluss zu ermöglichen, dass das Reichsland dem
örtlichen Geltungsgebiete des bürgerlichen Gesetzbuches beigesellt sein soll.
Statt dieser Fiction — dem sehr beliebten Zaubermittel des Entwurfes —
hätte man lieber im Art. 1 des Einführungsgesetzes mit klaren Worten das
Geltungsgebiet bezeichnen sollen.
Dass auch in den Consulargerichtsbezirken nach den Bestimmungen
des bürgerlichen Gesetzbuches Recht gesprochen werden muss, erhellt aus