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die Ausfüllung derselben auf Kosten der Rechtsuchenden der den Schwan-
kungen wechselnder Ansichten unterworfenen Judicatur zu überlassen, er-
scheint in hohem Grade gefährlich.
Auch vom Standpunkte des Öffentlichen Rechtes lassen sich manche
Einwendungen gegen den Entwurf erheben. Wohl selten ist ein Werk von
der Grösse des bürgerlichen Gesetzbuches mit einer so grundsätzlichen
Fernhaltung aller öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu Stande gebracht
worden.
Zwar erachtet Krech (Heft 14, S. 3) das vielfach geschmähte „reine
Privatrecht“, welches der Entwurf dem deutschen Volke bietet, als einen
Segen für die Zukunft, weil ein Gesetzbuch, welches für eine Geltungsdauer
von vielen Jahrzehnten bestimmt ist, nicht einer zur Zeit in weiten Kreisen
verbreiteten socialen Richtung folgen dürfe, selbst wenn dieselbe in der Ge-
setzgebung zur Geltung gelangt sei. Man kann wohl den Zweifel erheben,
ob durch diese Beschränkung des Entwurfes auf das reine Privatrecht den
berechtigten Wünschen des deutschen Volkes nach Einheit des bürgerlichen
Rechtes nicht eine allzugrosse Enttäuschung bereitet worden?
Ein Bild von dem bürgerlichen Rechte der Zukunft entrollt uns schon
heute das Einführungsgesetz, welches nicht nur die Vorschriften der bis-
herigen Reichsgesetze — soweit sie nicht besonders aufgehoben werden —
ın Kraft erhält, sondern auch in 52 Artikeln, welche mit den Worten „Un-
berührt bleiben die Vorschriften der Landesgesetze“ beginnen, dem Landes-
rechte weite Gebiete des bürgerlichen Rechtes zur ausschliesslichen Regelung
überlässt,
Darnach wird dem bürgerlichen Gesetzbuche Alles fern gehalten, was
durch ältere Reichsgesetze geordnet worden. Ausgeschlossen von dem bürger-
lichen Gesetzbuche wird ferner Alles, was nicht dem Privatrechte im aller-
engsten Sinne angehört; und auch von dem letzteren wird noch eine ganze
Anzahl von Materien, wie z. B. Wasserrecht, Forstrecht, Bergrecht, Recht
der Gemeinheitstheilungen, Recht der Stammgüter, Ennteignungsrecht, Ge-
sinderecht desswegen ausgenommen, weil diese Institute im Einzelnen nur
nach dem Bedürfnisse und den geschichtlich gegebenen Verhältnissen grösserer
oder kleinerer Distriete geregelt werden könnten, und deren theilweiser
polizeilicher Inhalt ein weiteres Hinderniss der Codificirung bilde (GRUCHOT,
Archiv, Band XXI, S. 181).
Ob das Gesetz vom 20. Dezember 1873, welches das gesammte bürger-
liche Recht der gemeinsamen Gesetzgebung des Deutschen Reiches unter-
warf, eine so ängstliche Vermeidung jeder Berührung mit dem öffentlichen
Rechte nothwendig erheischte, mag dahin gestellt bleiben; denn was die Be-
grenzung des bürgerlichen Gesetzbuches betrifft, da wird man wohl BEKKER’s
Mahnung (Heft 2, S. 4) beherzigen müssen, und alle Bedenken gegen die
Abgrenzung des Stoffes nach Kräften zu unterdrücken haben, da jede nicht
ganz geringe Erweiterung unberechenbare Folgen nach sich ziehen könnte.