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Die juristische Persönlichkeit des Reichsfiscus glaubt man durch die
Aufrechterhaltung der bisherigen Reichsgesetze genügend gesichert zu haben.
Aber wie steht es in Zukunft mit der Vertretung des Reichs- und des Lan-
desfiscus? Waren der Commission die Entscheidungen des Reichsgerichtes
Band VII, Seite 1; Band XI, S. 93; Band XX, Seite 155 nicht bekannt,
welche die trostlose Lage kennzeichnen, in welcher sich die Beantwortung
dieser Frage befindet? Oder glaubte man hier wiederum vor einem noli
me tangere des öffentlichen Rechtes zu stehen? Entwurf und Motive
schweigen darüber. Die Letzteren beschränken sich hier auf die kurze Be-
merkung: „Für den Reichsfiscus etwas Besonderes vorzusehen, ist kein An-
lass, Die bestehenden reichsrechtlichen Vorschriften bleiben, wie in dem
Einführungsgesetze auszusprechen sein wird, unberührt.“
Dem Landesfiscus ist zwar — gleichviel ob man ihn als Stiftung oder
als Personenverein im Sinne des bürgerlichen Gesetzbuches ansehen möchte
— die juristische Persönlichkeit, d. h. nach 8 41 des Entwurfes: „Die Fähig-
keit als solcher, selbständig Vermögensrechte und Vermögenspflichten zu
haben“, gesichert; hinsichtlich der Frage nach der Vertretung desselben
werden aber gemäss Art. 2 der Verfassung des deutschen Reiches die Vor-
schriften des bürgerlichen Gesetzbuches - als Reichsrecht — den in dieser
Beziehung nicht aufrecht erhaltenen Landesgesetzen vorgehen müssen. In
Folge dessen wird sich die Vertretung des Juaandesfiscus, wenn man den
letzteren mit MEIScHEIDER (Heft 3) zu den Körperschaften des bürgerlichen
Gesetzbuches rechnet, nach $ 44 des Eintwurfes, d. h. nach solchen Vor-
schriften richten müssen, die offenbar zunächst nur für die dem reinen Pri-
vatrechte angehörigen Personenvereine berechnet sind. Darnach muss für
jeden Landesfiscus — wenn er civilrechtlich Vermögensrechte geltend machen,
oder als Fiscus in Anspruch genommen werden soll — ein Vorstand vor-
handen sein. Nun vergegenwärtige man sich nur den Rechtszustand für
Preussen, wenn alle Vermögensrechte des preussischen Staates nur von
Einer Centrallstelle in Berlin aus geltend gemacht werden dürfen; oder wenn
gar sämmtliche Klagen gegen den Fiscus nur bei dem Landgerichte I zu
Berlin anhängig gemacht werden können, weil der eine Vorstand des als
preussischer Landesfiscus belangenden Personenvereines in Berlin seinen
Sitz haben wird.
Zum Schlusse mag endlich noch des Ehescheidungsrechtes gedacht
werden, welches in dem vorliegenden Werke keiner besonderen Beurtheilung
gewürdigt worden ist.
Der Entwurf kennt sogenannte absolute und relative Scheidungsgründe.
Zu den ersteren zählt derselbe nur den Ehebruch, die Lebensnachstellung
und die bösliche Verlassung; für letztere enthält der $ 1444 nur die
Bestimmung: „Wenn von einem Ehegatten durch schwere Verletzung der
ihm gegen den anderen Ehegatten obliegenden ehelichen Pflichten eine so
tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet worden, dass dem