— 159 —
darin zu finden, dass nur die erstere, nicht aber die letztere neues
Recht setze. Auch würde eine solche Annahme zu einer Folgerung
nöthigen, welche wohl auch die Gegner nur ungern hinnehmen
möchten. Enthält die Individualnorm keinen Rechtssatz,
so würde auch der Ungehorsam wider dieselbe nie Un-
recht sein können. Denn das subjective Unrecht setzt eine
subjective Verpflichtung, diese zu ihrer Erzeugung einen objec-
tiven Rechtssatz voraus. Fehlte die Norm, so würde auch
von Normwidrigkeit nicht gesprochen werden können.
Dreierlei Umstände sind es, welche, soviel ich sehe, die
Neigung begünstigen, bei Individualnormen überhaupt nicht von
Gesetzen oder doch nur von uneigentlichen Gesetzen zu reden
und insbesondere bei ihnen jede Rechtssetzung auszuschliessen.
Einmal die Gewöhnung, als Function der Norm zwar an
erster Stelle das Gebieten und Verbieten zu nennen, sodann aber
ein drittes — wo nicht weiter ein viertes — Glied anzuschliessen:
ein „Ermächtigen“, „Erlauben“, „Gewähren“, „Berechtigen“. Die
These, dass individuelle Normen kein Recht setzen, wird dann
mit Umgehung des Individual-Gebotes und -Verbotes regelmässig
an der Hand von Beispielen „ermächtigender Normen“ durch-
geführt. Man vergleiche nur die Belege bei MEYER und SELIG-
MANN; Gesetze über Anleiheaufnahmen, Subventionen, Dotationen
und dergl. bilden die ständigen Beispiele.
MEYER a. a. OÖ. 8. 11. 12. 14. 21. 22. 23 etc.
SELIGMANN a. a. O. 8. 63. 70 etc.
Stellt doch auch HäÄneL anfänglich „die Kategorieen des
Gebotes und Verbotes, der Berechtigung und Ermächtigung“
auf (8. 113. 117. 120. 169. 170), um erst im weiteren Verlaufe
seiner Darstellung diese Vierzahl von Begriffen wenigstens auf
die Dreizahl „Gebieten, Verbieten, Ermächtigen“ zu reduciren
(S. 184. 195. 197. 201. 211. 213). Von Berechtigung und Er-
mächtigung wird später noch zu reden sein. Hier haben wir es
nur mit der einfachen Schlussfolgerung zu thun: wenn allseitig