— 1853 —
83. Behandlung der Frage im canonischen Rechte.
Es ist bei dem oben dargestellten Stande der Quellen
eigentlich auffallend, dass die Frage, ob Aemter, bezw. die Krone
juristische Persönlichkeit besitzen, von Romanisten überhaupt auf-
geworfen wurde. In der That wurde sie nicht von HEısE oder
MÜHLENBRUCH neu angeregt, sie hatte vielmehr vorlängst bei den
mittelalterlichen Canonisten eine wichtige Rolle gespielt. Es ist
die schon frühzeitig sich ausbildende Selbständigkeit der Dom-
kapitel gegenüber dem Bischof oder Prälaten, sowie gegenüber
der (speciellen) Kirche als solcher gewesen, welche dies Problem
zur Sprache brachte ). Schon GRATIAN unterscheidet den Prä-
laten und das Collegium als besondere „entia® und „corpora sepa-
rata“ innerhalb des (desammtkörpers der Kirche. Freilich war
der Anlass zunächst wieder ein vermögensrechtlicher: die Theilung
des ehedem zur ungeschiedenen Disposition des Bischofs gestan-
denen Kirchengutes; allein, wie bekannt, unterschied sich das
germanische Recht vom römischen sehr wesentlich durch die ein-
heitliche Behandlung des öffentlichen und des Privatrechtes. Auch
die heute dem öffentlichen Rechte eingeordneten amtlichen und
Herrschaftsrechte wurden rechtlich den Vermögensrechten gleich
gestellt.
Das canonische Recht hat hier, wie sonst öfter, die germa-
nischen Rechtsgedanken in sich aufgenommen und literarisch sowie
legislativ verwerthet. Gerade aus dieser Vermischung von öffent-
lichem und Privatrecht ging wie von selbst die Uebertragung des
Begriffes des Rechtssubjectes und der juristischen Person in das,
was wir heute öffentliches Recht nennen, hervor. So kommt es,
dass die Canonisten nicht nur das Amt des Prälaten und das des
Collegiums des Domkapitels, sondern überhaupt alle Aemter als
Juristische Personen behandelten, so vor Allem die „sedes aposto-
S. 92. — 7%) Ich folge hier hauptsächlich der meisterhaften Darstellung
GIERRE’s a. a, O. III, insbes. S. 262 ff., 331 ff., 422, 595 ff., 607, 764, 785. —
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