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Ausdruck nicht des modernen Staates, sondern des mittelalter-
lichen Zusammenlebens jener zwei einander unabhängig gegenüber-
stehenden Persönlichkeiten, der beiden „Schwerter“ der deutschen
Rechtsquellen, welches, so nothwendig und nützlich seinerzeit die
Milderung des weltlichen „Schwertes“ durch die höheren Ziele
des geistlichen gewesen sein mochte, nie ein Ausdruck der in sich
einheitlichen modernen Staatsidee sein und werden konnte.
Die irrigen Consequenzen des Willensdogmas zeigen sich
übrigens noch in vielen anderen Beziehungen. So in der bis in die
neueste Zeit herrschenden Idee der selbständigen Persönlichkeit des
„Volkes“ neben dem Staate; der Begriff „Volksvertretung“ ist ein
ebenso sinnloser Ausdruck jenes Gedankens, wie das „Mandat“
des einzelnen „Volksvertreters“; denn die Gesammtheit der Wähler
ist trotz der Einheitlichkeit ihres Willens ebensowenig eine Per-
sönlichkeit, wie die der Wähler eines einzelnen Bezirkes.
Der neueren Literatur des Staatsrechtes muss zum Vorwurf
gemacht werden, dass sie diesen Widerspruch zwischen dem W illens-
dogma und der Einheitlichkeit der Persönlichkeit des Gemeinwesens
ebensowenig erkannte, wie seinerzeit die Naturrechtslehrer.
Die Anhänger der organischen Staatslehre, wie STEIN, SCHULZE,
GIERKE, PREUSS u. A. nehmen, wie oben schon erwähnt, einfach
an, dass die Organe der Gesammtpersönlichkeit selbst wieder Per-
sonen seien, ja dies soll nach einigen durch das Wesen des Or-
ganismus „bedingt“, aber „für das privatrechtliche Denken un-
fasslich sein“ !°®), Diese Annahme ist nun allerdings die einzig
richtige Consequenz des Willensdogmas; aber für den Sprach-
gebrauch und das Rechtsbewusstsein führt sie zu ganz unerträg-
lichen Resultaten. Jedes Ministerium, jede Verwaltungsbehörde,
jedes Gericht wären darnach ebensoviel juristische Personen und
doch wären sie alle nur eine juristische Person! Dagegen ge-
halten wäre ja der Versuch, das Dogma der Dreieinigkeit zu
begreifen, eine Kleinigkeit! LABAannD!®*) hat daher von seinem
1880. S. 129. -— '°%) GIeRKE in Schmoller’s Jahrb. 1883. S. 32. -- 154) Staats-