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87. Fortsetzung,
Die zweite Gruppe von Thatsachen, welche ich gegen das
Willensdogma in’s Feld führe, lässt sich damit charakterisiren,
dass nach diesem jeder menschliche Verband eine Person, ein
Rechtssubject sein müsste, der durch Gesetz oder Willkür berech-
tigt wurde, einen einheitlichen Willen dergestalt zu erzeugen, dass
dieser von dem der einzelnen Mitglieder verschieden ist und diese
letzteren bindet. Denn dann hat der Verband einen einheitlichen
Willen, der von ‘der Rechtsordnung befähigt wird, rechtliche
Wirkungen zu erzeugen; es läge also nach dem Willensdogma hier
allemal ein einheitliches Rechtssubject, eine juristische Person vor.
Vorerst will ich noch eins bemerken. Man spricht in solchen
Fällen allgemein von „organisirten“ Verbänden. Wenngleich, wie
ich später noch ausführen werde, von einem „Organismus“ im
eigentlichen Sinne des Wortes hier nicht geredet werden kann,
so sei doch dieser Sprachgebrauch nicht abgelehnt !®). Man
muss sich dann aber stets darüber klar sein, ob man von einem
vollkommenen Organismus oder von einer blossen Organisation
der Vielheit der Willen zu einer Einheit sprechen will.
Ich werde, um den Unterschied hervorzuheben, diese letztere
Bedeutung des Wortes durch den Ausdruck Willensorgani-
sation charakterisiren. Prüfen wir nun, ob sich der oben als
Ausfluss des Willensdogmas aufgestellte Satz bewahrheitet!
Zunächst ist zu bemerken, dass es eine grosse Zahl von
(semeinschaftsverhältnissen des öffentlichen wie des Privatrechtes
gibt, bei welchen eine \Villensorganisation von der Rechtsordnung
überhaupt nicht anerkannt ist, bei welchen also die Möglichkeit,
ein dissentirendes Mitglied zu majorisiren, nicht besteht.
Das römische Recht ist an solchen Gemeinschaftsformen
ziemlich reich; Beispiele bieten die Mehrheit von Tutoren, wenn
dieselben zur ungetheilten Verwaltung berufen sind !#°); die Colle-
der öffentlichen Meinung, einer politischen Partei, einer Nationalität, eines
bewaffneten Widerstandes u. s. w. — 1%) Vgl. Arnpors Pand 13. Aufl. $ 458.