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begrifflichen Elemente Geltung erlangt haben, welche die Anhänger
der organischen Staatslehre insoferne sie sich nicht in Träumereien
oder poetische und mystische Bilder verlieren, als dem „organi-
schen Princip“ wesentlich erklären, abgesehen von dem Momente,
der Unwillkürlichkeit der Entstehung, dessen Werthlosigkeit
für unsere Begriffsbestimmung ich bereits betont habe. Ich
fasse diese Begriffsbestimmung kurz folgendermassen zusammen:
1) ein einheitlicher eigener Gesammtzweck; 2) ein einheitlicher
selbständiger Wille behufs Verwirklichung des ersteren. Darin
ist schon enthalten, was in mehr oder minder vager und unklarer
Weise als Charakteristikum des organischen Verbandswesens be-
trachtet zu werden pflegt, dass nämlich der Wille, der durch die
Normen, die ihn zum einheitlichen machen, nothwendig auch
zum herrschenden wird, diese Herrschaft nicht zur Realisirung
seiner eigenen Zwecke, sondern lediglich zu der des Gesammt-
zweckes verwenden darf. Es lässt sich nicht läugnen, dass man
diese Principien (deren Normirung im concreten Verbande seine
„Verfassung“ darstellt) nicht besser, nicht treffender, vor allem
nicht kürzer bezeichnen kann, als indem man das Gemeinwesen
als eine Art des Begriffs „Organismus“ auffasst oder doch als
eine Analogie zu demselben. Ob man das letztere oder das
erstere wählt, ist ziemlich gleichgiltig und hängt nur davon ab,
ob man den Begriff Organismus weiter oder enger fasst; ein Streit
darüber ist also ein unfruchtbarer W ortstreit.
Das Product der Kräfte, die wir im Organismus finden,
nennen wir „Leben“; wir können daher auch, ohne den Vorwurt
gewärtigen zu müssen, dass wir damit ein poetisches Bild ge-
brauchen, dem menschlichen Verbandsorganismus ein „Leben“
zuschreiben, das in der Realisirung des Gesammtzweckes besteht,
wie das Leben des physischen Organismus in der Verwirklichung
der Zwecke besteht, die dieser sich setzt oder die ihm gesetzt
sind; beide sind Zweckeinheiten, Entelechien. Die Einheit-
lichkeit des Zweckes und des Realisirungswillens ist aber auch