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Aber freilich wird man dann genöthigt sein, wie im physi-
schen ?7?), so auch im Verbandsorganismus als die Grundelemente
dessen „Theile“ zu betrachten, von diesen aber die „Organe“ als
diejenigen Theile, welche handelnd, beobachtend, urtheilend der
Aussenwelt gegenübertreten, zuunterscheiden. „Organe“ werden
wir sonach mit vollem Recht sowohl dem physischen als dem
Verbandsorganismus zuschreiben, nur dass beim physischen Or-
ganismus die Selbständigkeit ein Schein, beim Verbandsorganis-
mus eine reale Wahrheit ist.
Nicht alle „Theile“ des Organismus sind daher „Organe“;
„Organ“ ist bloss jener Theil desselben, welcher den die
Gesammtheit bindenden Willen erzeugt. Diese Unterschei-
dung wird selten beachtet??*); der Mangel derselben führt dahin,
dass z. B. Fricker den Bürger, wenn derselbe Steuer zahlt, als
Organ des Staates handeln lässt?"°). Consequent müsste auch der
Verbrecher, der gehenkt wird, in diesem Augenblick als staat-
liches Organ fungiren.
Auch ein lediglich opferbringender, beitragender Theil kann
im organischen Verbande stehen, obwohl er vielleicht an der
Willensherrschaft gar keinen Theil hat, wenn im Gesammtinter-
esse auch das seinige verwirklicht wird und seine Opfer nur in-
soweit gefordert werden, als die Realisirung jenes ersteren dieselben
nöthig macht. Der lediglich geniessende und opfernde Theil des
Organismus ist also nicht Organ; Organ wird er erst, wenn und
insoweit er an der Willensbildung des Gemeinwesens Theil hat
oder gar diesen Willen selbst und allein erzeugt.
Ohne jede Berechtigung sind daher jene Bedenken, welche
vom Standpunkte der organischen Auffassung gegen die Anwen-
dung des Begriffes der Persönlichkeit und ebenso wenig jene,
270) Vo]. Roux, Der Kampf der Theile im Organismus (1881). Derselbe
unterscheidet Molekel, Zellen, Gewebe, Organe im physischen Organismus. —
74) Andeutungen derselben finden sich aber schon bei mittelalterlichen Autoren.
Vgl. Gmerke III. S. 555. — °°) Tübinger Ztschr. 1869. XXV. 8.40, 41. —