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Ziweifelhaft ist dagegen, ob es noch andere Fälle der Missheirath
giebt, bezw. welche dies sind.
In dieser Beziehung scheinen die oben erwähnten Präcedens-
fälle einander zu widersprechen. Es würde sich nämlich zunächst
fragen, ob der nach dem Bürgerstande nächst höhere Stand, der
gewöhnliche niedere Adel, nach der Lippe’schen Hausverfassung
als ebenbürtig zu betrachten ist. Im 16. Jahrhundert hat man
eine solche Ehe als nicht vollgiltig angesehen. Die an sich mög-
liche Thatsache, dass sich später ein abweichendes, dem niederen
Adel günstigeres Herkommen im Lippe’schen Hause ausgebildet
habe, wird widerlegt durch den brüderlichen Vergleich der Stifter
der erbherrlichen Linien von 1749. Die Festsetzung desselben
über die Ebenbürtigkeit hat nicht etwa die Bedeutung einer neuen
Rechtsschöpfung und kann dieselbe nicht haben. Denn die beiden
Paciscenten konnten für sich nicht die Befugniss in Anspruch
nehmen, in einer für das Gesammthaus präjudicirlichen Weise
die Successionsfähigkeit ihrer Nachkommen zu regeln. Vielmehr
hat die Festsetzung nur den Charakter eines Weisthums, sie ist ein
Zeugniss von berufener Seite dafür, was im Lippe’schen Ge-
sammthause während des 18. Jahrhunderts hinsichtlich des Er-
fordernisses der Ebenbürtigkeit geltendes Recht war.
Lägen nur der Präcedensfall aus dem 16. Jahrhundert und
der brüderliche Vergleich von 1749 vor, so wäre bei dieser drei
Jahrhunderte hindurch fortgesetzten Rechtsübung kaum ein Zweifel
daran möglich, dass der gewöhnliche niedere Adel nach der
Lippe’schen Hausobservanz nicht ebenbürtig ist. In eigenthüm-
lichem und anscheinend nicht lösbarem Widerspruche mit jener
Rechtsübung steht aber der vorerwähnte zweite Fall, in dem die
Ehe des Grafen Friedrich Ernst mit Philippine Elisabeth von
Friesenhausen, der Stammeltern des heutigen fürstlichen Hauses
Schaumburg-Lippe, vom Reichshofrathe für ebenbürtig erklärt
wurde. Eine Lösung des Widerspruchs, welche annimmt, dass
das Lippe’sche Gesammthaus von der älteren, zweifellos fest-