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executive Zwang zur Befolgung gewisser verwaltungsrechtlicher
Vorschriften. Statt ein allgemeines Gebot oder Verbot bei Ver-
meidung einer Executivstrafe auszusprechen, bedroht der (zesetz-
geber die Handlungen und Unterlassungen, deren Gegentheil er
erzwingen will, mit Strafe Die innere Verschiedenheit dieser
verwaltungsrechtlichen Normen, bei denen die Strafe obrigkeit-
liches Zwangsmittel ist, von den wahren Strafrechtsnormen, bei
denen sie eine Sühne für den Bruch der Rechtsordnung bildet,
erscheint unverkennbar. Selbst der Laie wird schwerlich die
Strafe für unterlassene Anmeldung eines Todesfalles und die
Strafe für Entwendung von Lebensmitteln zum sofortigen Genusse
trotz der Gleichheit des Strafmasses für ihrer inneren Natur nach
gleichartig halten. Die Einkleidung beider Kategorien von Ge-
boten und Verboten in die gleiche Form der Strafrechtsnormen
hat aber zur Folge und geschieht gerade um desswillen, dass in
beiden Fällen eine Rechtsprechung der ordentlichen Strafgerichte
über die strafbare Handlung und damit bei den verwaltungsrecht-
lichen Verboten eine Rechtscontrolle der Verwaltung durch die
ordentlichen Strafgerichte ermöglicht wird. Da diese Strafgerichts-
barkeit in höchster Instanz dem Kammergerichte übertragen ist,
übt dieses eine ausgedehnte Verwaltungsgerichtsbarkeit in den
Formen des gewöhnlichen Strafverfahrens aus.
Die Besprechung dieser verwaltungsrechtlichen Judicatur des
Kammergerichtes soll der Gegenstand der folgenden Ausführungen
sein. Die Natur des Gegenstandes bringt es dabei mit sich, dass
von einer systematischen Disposition nicht die Rede sein kann.
Es muss genügen, die Entscheidungen nach Hauptgesichtspunkten
zu gruppiren und kritisch zu beleuchten.
I. Von allgemeiner Bedeutung für sämmtliche verwaltungsrecht-
lichen Strafrechtsnormen erscheint die Frage, inwiefern zur Fest-
stellung des Thatbestandes ihrer Uebertretung der Nachweis des
Vorsatzes oder des Verschuldens erforderlich ist. Das Kammer-
gericht hat diese Frage zwar nur für die eigentlichen Polizei-
übertretungen, d. h. für die Uebertretung von Polizeiverordnungen
beantwortet'!), seiner Entscheidung muss jedoch eine allgemeinere
1) Entsch. v. 10. Jan. 1881 — JoHow u. KüntzeL, Jahrbuch Bd. 2, S. 254.