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zur Voraussetzung habe. So hat in den beiden oben erwähnten
Entscheidungen das Kammergericht eine Verordnung des Ober-
präsidenten der Provinz Sachsen über die Sonntagsheiligung, so-
wie eine Verordnung des Polizeipräsidenten von Stettin, betreffend
das Verbot geldähnlicher Marken eines Consumvereins für rechts-
ungiltig erklärt, da das Vorhandensein eines besonderen Bedürf-
nisses der betheiligten Bezirke nach der polizeilichen Regelung
verneint werden müsse. Es ergiebt sich somit das eigenthümliche
Resultat, dass, mag das Kammergericht die Nothwendigkeit einer
auf Grund der Ziff. i erlassenen Verordnung anerkennen oder
nicht, die Verordnung nach der Judicatur des Gerichtshofes unter
allen Umständen wegen Mangels eines besonderen Interesses des
Bezirkes an der polizeilichen Regelung rechtsungiltig ist. Damit
wendet aber der Richter das Gesetz nicht an, sondern setzt es
in einer seiner wichtigsten Bestimmungen ausser Kraft.
Die Judicatur des Kammergerichtes ist aber endlich auch
für die Praxis der Verwaltungsbehörden bedeutungslos. Das Ober-
verwaltungsgericht erkennt nämlich die auf Grund des 8 6i er-
lassenen Verordnungen, sofern sie sich nur überhaupt auf polizei-
lichem Gebiete bewegen, ohne Prüfung ihrer Nothwendigkeit oder
Zweckmässigkeit als giltig an und hält auch die auf Grund einer
solchen Verordnung erlassenen polizeilichen Zwangsverfügungen
aufrecht. Wenn nun die Polizei die Bestrafung der Polizeiüber-
tretungen durch die ordentlichen Gerichte nicht erzielen kann,
so operirt sie einfach mit polizeilichen Zwangsverfügungen und
erreicht auf diese Weise mit einer etwas grösseren Arbeitslast
und mit einer etwas grösseren Belästigung des Publikums das-
selbe Ziel.
III. Durch die allgemeine Fixirung der Grundlagen des
Polizeiverordnungsrechtes in 8 10 HD, 17 A. L.-R. und dem
Polizeiverwaltungsgesetze vom 11. März 1850 ist nicht ausge-
schlossen, dass in dem einen oder dem anderen Falle noch eine
Specialrechtsnorm die Polizei zum Erlasse besonderer Verord-
nungen ermächtigt. Als eine solche Specialrechtsnorm wird in der
Praxis des Kammergerichtes besonders angesehen eine Cabinets-
ordre vom 7. Februar 1837 über die äussere Heilighaltung der
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