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ihn mit Befugnissen ausstatten. Wie der Verfasser ganz richtig bemerkt,
„erscheint sein rechtliches Verhältniss zur Volksvertretung demjenigen eines
konstitutionellen Monarchen fast durchaus analog“ (8. 30).
Die Gefahr für die republikanische Staatsform liegt wesentlich auf einer
anderen Seite der gegenwärtigen Verfassungseinrichtungen: auf dem geord-
neten Wege zur Revision der Verfassungsgesetze durch die Nationalversamm-
lung, den Kongress. Nicht umsonst ist die Revision der erste Artikel in
dem Programm aller Feinde der Republik. Der Verfasser widmet diesem
Institut eine längere Auseinandersetzung (S. 59ff.) und hebt mit Recht her-
vor, dass alle Kautelen, um den Bestand der Republik zu sichern, gegen-
über dem Kongresse gegebenenfalls illusorisch sein würden.
Die Betrachtungen, welche der Verfasser anstellt, sind naturgemäss
vorwiegend politischer Natur. Ich möchte nur auf einen Punkt noch näher
eingehen, weil derselbe ein besonderes juristisches Interesse bietet. Das ist
die Frage der Freiheitsrechte oder Grundrechte. Die declaration
des droits de l’!homme vom 26. August 1789 hat für dieselben die massgebende
Formulirung aufgestellt, welche im Wesentlichen wörtlich in späteren Ver-
fassungen wiederholt zu werden pflegte; zum Mindesten wurde, wie in der
Verfassung von 1852, im Allgemeinen darauf verwiesen. Die neuen Grund-
gesetze von 1875 enthalten nichts derartiges. Der Verfasser sieht darin eine
Lücke, ist aber der Meinung, es bestehe doch kaum ein Zweifel, dass die
Prinzipien von 1789 als grundlegend für den gesammten öffentlichen Rechts-
zustand Frankreichs betrachtet werden müssen (S. 20). Es ist in der That
undenkbar, dass diese Grundsätze nicht mehr gelten sollten, dass z. B. ein
Satz in Wegfall gekommen wäre, wie der des Art. 5 der Erklärung der
Menschenrechte: Tout ce qui n’est pas defendu par la loi ne peut £tre
empöch6 et nul ne peut ötre contraint & faire ce qu’elle n’ordonne pas. Der
Willkür der Regierung und ihrer Behörden, des pouvoir executif, wäre damit
Thür und Thor geöffnet und der Rechtsstaat vernichtet. Aber warum gilt
das noch? das kann doch keine blosse Gefühlssache sein, keine Folgerung
aus dem öffentlichen Rechtszustande im Allgemeinen. Die Begründung
ist eine viel festere, bestimmtere.e Man muss sich nur die ganze
Reihe dieser sogenannten Menschenrechte einmal ansehen. Alle sagen sie:
dies und jenes darf den Menschen von der Staatsgewalt nicht geschehen,
und alle fügen sie hinzu: es sei denn, dass das Gesetz es thut oder dazu
ermächtigt. Es sind lauter Vorbehalte des Gesetzes gegenüber der voll-
ziehenden Gewalt, nichts anderes. Wenn die Erklärung der Menschenrechte
am Schlusse (Art. 16) hinzufügt: in jedem Verfassungsstaate müsse sein „la
separation des pouvoirs determinees“, — so meint sie diese Machtvertheilung,
die sie eben gemacht hat. Diese Machtvertheilung wird im Wesentlichen
die gleiche bleiben, so lange unsere Verfassungen das Gesetz im formellen
Sinne ausscheiden von allen sonstigen Akten der Staatsgewalt. Eine Zeit
lang bestätigen die Verfassungen diese Regeln ausdrücklich auf's Neue; dann